Ökonom nimmt Judenvergleich zurück

„Damals traf es die Juden, heute die Manager“: Nach scharfer Kritik entschuldigt sich der Wirtschaftswissenschaftler Hans-Werner Sinn für seine umstrittene Äußerung. Ein solcher Vergleich sei „absurd“, schreibt er dem Zentralrat der Juden

VON PHILIPP GESSLER

Der Wirtschaftswissenschaftler Hans-Werner Sinn hat sich für seinen umstrittenen Vergleich zwischen den Juden in der Nazizeit und den Bankern in der derzeitigen Finanzkrise entschuldigt. „Ich habe das Schicksal der Juden nach 1933 in keiner Weise mit der heutigen Situation der Manager vergleichen wollen“, erklärte der Chef des Münchner Instituts für Wirtschaftsforschung (ifo) in einem offenen Brief an Charlotte Knobloch, die Präsidentin des Zentralrats der Juden. „Ein solcher Vergleich wäre absurd“, so Sinn, „ich bitte die jüdische Gemeinde um Entschuldigung und nehme den Vergleich zurück.“

Der Münchner Wissenschaftler hatte in einem Interview mit dem Berliner Tagesspiegel gesagt: „In jeder Krise wird nach Schuldigen gesucht, nach Sündenböcken. Auch in der Weltwirtschaftskrise von 1929 wollte niemand an einen anonymen Systemfehler glauben. Damals hat es in Deutschland die Juden getroffen, heute sind es die Manager.“ Sinn hat sich seit Jahren, etwa mit dem Buch „Ist Deutschland noch zu retten?“, als ein Kritiker des Sozialstaates profiliert. Er forderte etwa eine Lockerung des Kündigungsschutzes. Die Gewerkschaften standen häufiger im Focus seiner Kritik.

Der Zentralrat der Juden hatte schon am Wochenende eine Entschuldigung Sinns gefordert. Sein Vergleich sei „empörend, absurd und absolut deplatziert“, ja „eine Beleidigung der Opfer“. Auch die Bundesregierung forderte Sinn auf, seinen Vergleich zurückzunehmen. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm sagte, eine entsprechende Erklärung Sinns wäre „angemessen“. Der Vergleich, den der Wirtschaftswissenschaftler gezogen habe, sei historisch falsch und nicht zulässig, sagte Wilhelm.

„Herr Sinn ist nicht bei Sinnen“, witzelte der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Sebastian Edathy (SPD). Die Linke-Politikerin Petra Pau sagte, bestenfalls versuche Sinn, den Verantwortlichen für die aktuelle Krise eine Opferrolle zuzuschreiben. „Schlimmstenfalls verhöhnt er die Opfer des Holocausts.“ Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, nannte Sinns Aussagen eine „absolute Geschmacklosigkeit“. Die Hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann kommentierte: „Mir ist völlig unverständlich, wie jemand die menschenverachtende und zerstörerische nationalsozialistische Ideologie des Antijudaismus, die Millionen Menschen ermordet hat, in eine Verbindung mit der Frage nach den Verantwortlichen in der aktuellen Bankenkrise bringen kann.“ Das Pariser Simon-Wiesenthal-Zentrum kritisierte Sinns Vergleich als „verletzend“.

Auch Wolfgang Benz vom Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung kommentierte Sinns Aussagen scharf. Hier sei eine „frivole Gedankenlosigkeit“ am Werk. Es gebe ein Potenzial für „ein Ressentiment gegenüber Juden“ – ob das auch auf Sinn zutreffe, sei aber „nicht festzustellen“. In diesem „völlig blödsinnigen Vergleich“ komme eine „gewisse kollektive Wehleidigkeit“ zum Ausdruck.

Zurückhaltender war der Potsdamer Historiker Julius Schoeps. Sinn habe „ungeschickt formuliert – aber Antisemitismus ist das nicht“. Es gebe nun einmal diese „Rituale“, häufig auf Juden als Opfer zu referieren. Der Frankfurter Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik nannte Sinns Sätze „ein bisschen weinerlich“. Insgesamt aber seien sie genauso viel und genauso wenig antisemitisch wie die des jüngst zurückgetretenen Leiters des Zentrums für Türkeistudien, Faruk Sen. Er hatte die Lage der Deutsch-Türken mit der Situation der Juden in der NS-Zeit verglichen. Der Berliner Antisemitismusexperte Martin Kloke sagte, es sei „erstaunlich und bestürzend“, dass ein kluger Mann wie Sinn in solch einer Position Aussagen wie diese mache. Dies sei eine „Verhöhnung der Opfer“.

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