Sachsens CDU lässt nichts auf ihre Blockflöten kommen

DDR-AUFARBEITUNG Ein Buch beschreibt, wie Genossen der Blockpartei in der West-CDU Karriere machten

DRESDEN taz | Ein Buch gegen die „epidemieartige politische Demenz“ soll es sein. Der Autor zielt auf die CDU. Auch 20 Jahre nach der Wende ist sie seiner Ansicht nach nicht bereit, sich der Vergangenheit ihrer aus der DDR stammenden Mitglieder der ehemaligen Blockpartei zu stellen. Das meint jedenfalls Karl Nolle. Im sächsischen Landtag ist der SPD-Abgeordnete für seinen Spürsinn bekannt, immer wieder deckte er mit Recherchen Misstände in Ministerien auf. „Sonate für Blockflöten und Schalmeien“ nennt Nolle sein 336 Seiten umfassendes investigatives Werk.

Darin geht es zunächst um die Rolle der Ost-CDU im abgestuften SED-Herrschaftssystem. In Anpassung geübt, wechselten die Parteimitglieder 1989 sozusagen von einer strengen Führung in die nächste – in die CDU unter Kanzler Helmut Kohl. Joachim Gauck, der erste Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, sprach damals von „kompatiblen Typen“. Solche listet Nolle namentlich auf, überwiegend Personen aus Sachsen, die nach 1990 ihre Parteikarriere fortsetzten, oder frühere Mitläufer, die dann aufstiegen.

Unter den wenigen Nichtsachsen, die Nolle in diese Kategorie einordnet, sind Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus und Brandenburgs Vizeministerpräsident Ulrich Junghanns, im Jahr 1990 noch Vorsitzender der Demokratischen Bauernpartei in der DDR.

Den breitesten Raum nehmen Attacken auf den sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich ein. Der Sorbe Tillich avancierte noch im Jahr 1989 zum Stellvertreter des Rates des Kreises Kamenz für Handel und Versorgung. Seit Herbst 2008 muss sich der Ministerpräsident mit dem Vorwurf auseinandersetzen, seine Biografie geschönt und nicht vollständig veröffentlicht zu haben.

Nolle trägt zu diesem Thema Neues bei. Er wirft Tillich vor, er habe in dieser Zeit auch an zwei Grundstücksenteignungen mitgewirkt. Der aus Niedersachsen stammende SPD-Rechercheur verweist außerdem darauf, dass Tillich der Nomenklatura der DDR und jener Leitungsebene angehörte, die im Krisenfall durch kommunale Notparlamente autoritär regierte.

Mehreren CDU-Ministern, Landräten oder Landtagsabgeordneten weist Nolle die Teilnahme an Schulungen in der CDU-Kaderschmiede Burgscheidungen in Thüringen nach. Neben vielen bekannten Tatsachen spricht er auch ungeklärte Fragen wieder an. So geht es um Stasi-Verstrickungen des Startrompeters Ludwig Güttler, ebenfalls langjähriges CDU-Mitglied.

Nolle lüftet auch das Geheimnis, warum der frühere Innenminister Heinz Eggert, eigentlich ein unbelasteter CDU-Reformer, rund 300 Beamte der Stasi-nahen K1-Polizei in den sächsischen Staatsdienst übernahm. Der damalige westdeutsche Polizeiinspektor soll das ultimativ verlangt haben. Für Nolle ein Beispiel westdeutscher Hilfe bei der Vertuschung ostdeutscher Biografien.

Mit seinem Erscheinungsdatum muss Nolles Buch wie Wahlkampfmunition wirken – im August wird in Sachsen der Landtag neu gewählt. Als Beweggrund für sein Buch nennt der 64-Jährige die Doppelmoral der CDU. „Nicht die Biografien sind eine Schande, sondern ihr Umgang damit“, sagt er. Der CDU-Fraktionschef im Landtag, Steffen Flath, warf Nolle „mangelnde Distanz“ vor. Er sei kein Historiker, und überdies bedürfe die Union bei ihrer Vergangenheitsaufarbeitung nicht vermeintlicher Hilfe von außen. MICHAEL BARTSCH