Statement gegen Fremdenhass

RASSISMUS 1.500 Menschen kommen in Dresden zur Trauerfeier für die ermordete Ägypterin Marwa El Sherbini. „Die Stadt erlitt mit der Bluttat einen herben Rückschlag“

„Rassismus ist mit tausend Nadelstichen im Alltagsleben vergleichbar“

NABIL YACOUB

AUS DRESDEN MICHAEL BARTSCH

Etwa 1.500 Menschen haben sich am Sonnabend vor der Goldenen Pforte des Dresdner Rathauses eingefunden. Viele halten weiße Rosen in den Händen. Geplaudert wird wenig, die Stimmung wirkt gedrückt. Auf dem Treppenabsatz vor dem Eingang halten arabische Studenten und Mitbürger Fotos der in einem Saal des Dresdner Landgerichts ermordeten Marwa El Sherbini und ihrer Familie hoch. Ihr gilt diese Trauerfeier, zu der Studenten, ägyptische Doktoranden, der Ausländerrat und weitere Initiativen aufgerufen haben.

Am 1. Juli waren die als Zeugin geladene Ägypterin und ihr Mann während einer Berufungsverhandlung von dem Angeklagten niedergestochen worden. Der dreijährige Sohn musste das Geschehen mit ansehen. Der Täter ist ein aus Russland stammender eingebürgerter 28-jähriger Spätaussiedler. Er hatte sein Opfer auf einem Spielplatz wegen des Tragens eines Kopftuchs verhöhnt und unter anderem als Terroristin bezeichnet. Die junge Frau wehrte sich mit einer Anzeige, woraufhin der Mann in erster Instanz zu 780 Euro Geldstrafe verurteilt wurde.

Alle Redner, die nach einer Schweigeminute in Dresden das Wort ergreifen, sind bemüht, kein Öl ins Feuer des Fremdenhasses zu gießen. Das gilt insbesondere für die arabischen Vertreter. Es handele sich um Auswüchse, betont Aiman Mazyek, Generalsekretär des Zentralrats der Muslime. „Deutschland ist nicht islamfeindlich!“

Nabil Yacoub vom Ausländerrat Dresden weist allerdings auf den Alltagsrassismus, auf die „tausend Nadelstiche im Alltagsleben der Migranten“ hin. Insofern wäre eine sofortige Reaktion deutscher Spitzenpolitiker wünschenswert gewesen, die sich erst einen Tag vor der Dresdner Trauerfeier geäußert hatten. Auch Marianne Thum von der sächsischen Opferberatung RAA verlangt, Dresden sollte sich klarer positionieren und „nicht hinter behaupteter Weltoffenheit verstecken“. Eine Replik auf Wirtschaftsbürgermeister Dirk Hilbert, der zuvor auf den Wissenschaftsstandort Dresden verwiesen hatte. Die Stadt sei auf Zuzüge und Ausländer angewiesen und habe mit der Bluttat einen herben Rückschlag erlitten.

Auch der ägyptische Botschafter Ramzy Ezzeldin verlangt zwar eine schnelle Verurteilung des Täters, ruft aber seine Landsleute auf, ihre Arbeit in Deutschland fortzusetzen und „die deutsche Gesellschaft mit anderem Denken zu bereichern“.

Die Worte des Botschafters und anderer Muslime werden von den anwesenden Ägyptern mit „Allahu Akhbar“-Rufen quittiert. Kritische Untertöne bleiben verhalten, etwa wenn wiederholt der Hinweis auftaucht, dass die Getötete Zivilcourage bewiesen und dem deutschen Rechtsstaat vertraut habe. Anwesende Politprominenz wird zwar erwähnt, spricht aber in Wahlkampfzeiten klugerweise nicht am Mikrofon. Erst, als sich am Schluss eine lange Schlange zur Eintragung in das Kondolenzbuch bildet, wird SPD-Chef Franz Müntefering von Reportern umringt. Der Respekt vor den Opfern verbiete politische Ablenkungsreaktionen, sagt Müntefering. Gleichwohl müsse die Tat politische Konsequenzen haben. Sachsens Justizminister Geert Mackenroth (CDU), in jüngster Zeit vielfach von Skandalen geschüttelt, verlässt bald nach Schluss mit versteinerter Miene den Platz. Er war der einzige namhafte Unionsvertreter.

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