Verdeckte Ermittler als Risiko

VERFASSUNGSSCHUTZ Der Inlandsdienst setzt auf V-Leute in der rechtsextremen Szene und schweigt zu ihren Taten. Das erschwert die Strafverfolgung, wie zwei aktuelle Fälle zeigen

„Das Problem ist, dass wir nicht immer wissen, was sie tun“

GÜNTHER HEISS, VERFASSUNGSSCHUTZ

VON ANDREAS SPEIT

Das Verfahren gegen das Neonazi-Internetradio European Brother Radio (EBR) beginnt in knapp vier Wochen. Ab dem 16. November stehen die Betreiber vor dem Berliner Landgericht wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Verstoß gegen das Waffengesetz und Anstiftung zu Rassenhass. Die Staatsanwaltschaft rechnet mit einem schwierigen Verfahren. Der Grund: Eine der sieben Beschuldigten, Sandra F., arbeitete für den niedersächsischen Verfassungsschutz. „Welche Auswirkungen die V-Tätigkeit auf das Verfahren hat, ist noch nicht absehbar“, sagt Staatsanwalt Holger Freund der taz.

Im März 2009 waren Ermittler gegen das Radio vorgegangen. Im Programm wechselten sich rechtsextreme Sprüche der Moderatoren mit Rechtsrock ab. Ab September 2008 hat Sandra F. unter dem Namen „Gefjon“ die Sendungen mitgestaltet. Zum „Holocaust“ soll die 31-Jährige laut Staatsanwaltschaft gesagt haben: Es seien „auch 200.000 bis 300.000 Juden ums Leben gekommen, meiner Meinung nach zu wenig“.

Über 250 Straftaten werden den Betreibern vorgehalten. Die Staatsanwaltschaft hält die V-Frau für eine der maßgeblichen Personen. Ständig habe sie schwere Straftaten begangen. „Abgeschaltet“ wurde sie nicht. Der Verfassungsschutz Niedersachsen möchte den Fall nicht kommentieren. Dessen Präsident Günther Heiß sagt nur: „Das Problem bei unseren Quellen ist, dass wir nicht immer wissen, was die sonst tun“.

Staatsanwalt Freund sagt, die Verteidigung von Sandra F. versuche bereits, ihren Status zum eigenen Vorteil auszulegen – angeblich sei sie von einer „Duldung“ ihrer Taten durch die Verfassungsschützer ausgegangen.

„V-Männer, das ist die Falle des Rechtsstaats“, sagt Felix Herzog, Professor für Strafrecht an der Universität Bremen. Er befürchtet, dass die Führungen von V-Leuten „viel dulden und wegschauen“. Verfassungsschutztätigkeiten belasteten wie im Fall Sandra F. immer wieder Strafverfahren, sekundiert der Rechtsextremismusexperte Christian Dornbusch.

Im Dreiländereck Niedersachen-Thüringen-Hessen unterstellen Kameradschaften im Internet dem Rechtsextremen Dirk N., seit März 2009 als V-Mann tätig zu sein: Der 35-Jährige habe sich durch Aussagen über Gesinnungsgenossen eine milde Strafe gesichert. Dirk N. war 2008 wegen einer Schießerei und eines Brandanschlags in einer Bar zu zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. „Als Einziger wollte er gleich mit mir reden“, sagt der damals ermittelnde Oberstaatsanwalt Hans Hugo Heimgärtner heute der taz. „Aufhellende Aussagen über die gesamte Szene gab es nicht.“

Der Verfassungsschutz gibt sich auch hier wortkarg. „Grundsätzlich äußern wir uns nicht über V-Mann-Diskussionen“, sagt eine Sprecherin. Der Rechtsexperte der Grünen-Landtagsfraktion in Hannover, Helge Limburg, sagt, im Falle eines Deals mit Dirk N. bestätige sich, dass V-Männer oft staatlich bezahlte Nazis seien, „die vor Verbrechen nicht zurückschrecken“. Eine Aufklärung erwartet er nicht. „Wir haben im Parlament kaum Kontrollmöglichkeiten. Wenn wir wegen Vorfällen nachfragen, ist die Antwort immer: ‚Das unterliegt der Geheimhaltung.‘“ Limburg fordert deshalb: „Man muss sie abziehen.“ Der Strafrechtsexperte Felix Herzog stimmt dem zu: „Die V-Leute müssen raus.“