„Nicht auf Oliver Kahn warten“

VÄTERZEIT Schriftsteller und Psychiater Jakob Hein über seinen Job als Väterbeauftragter der Charité: Nur Unentspannte lassen sich diktieren, wie Männlichkeit auszusehen hat

■ ist Oberarzt für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Uniklinik Charité. Dort ist der 37-Jährige seit Januar Väterbeauftragter. Er ist daneben auch Buchautor und Vater zweier Söhne.

INTERVIEW FLORIAN BLUMER

taz: Herr Hein, Sie sind seit drei Monaten Väterbeauftragter bei der Berliner Uniklinik Charité. Hatten Sie viel zu tun?

Jakob Hein: Erstaunlich viel, ja. Wir dachten alle, dass das eine Stelle ist, die gelegentlich aufgerufen wird, so einmal pro Monat vielleicht. Stattdessen habe ich wöchentlich sehr viele Anfragen von Vätern mit Beratungsbedarf. Aber auch von den Medien her gibt es ein Rieseninteresse zur Frage der neuen Rolle der Väter in der Gesellschaft.

Mit welchen Anliegen kommen die Männer zu Ihnen?

Die Männer aus der Charité haben vor allem praktische Fragen: Wie kann ich Elternzeit nehmen, wie kann man das splitten, solche Sachen.

Wie zufrieden sind denn die Väter in der Charité mit ihrem Arbeitgeber?

Ich habe das Gefühl, dass die Charité ein ganz gutes Standing hat. Es gibt natürlich Probleme, die allgemein bekannt sind: die Kinderbetreuung oder die Verdichtung von Arbeitszeit.

ExpertInnen sagen, entscheidend für die Familienfreundlichkeit sei das Betriebsklima. Sie haben selbst schon vor 7 Jahren fünf Monate Vaterzeit genommen. War das schwierig?

Das war eher unproblematisch. Es stimmt, dass das Umfeld entscheidend ist: Es fehlt eine Selbstverständlichkeit von Kindern in der Gesellschaft. Das ist absolut lächerlich. Entweder sind Kinder in der Gesellschaft selbstverständlich, oder die Gesellschaft findet nicht mehr statt. Das Zweite aber ist, inwieweit man sich bestimmte Positionen zu eigen macht. Die Frauen sind viel mehr daran gewöhnt, dass sie sich ihre Mutterrechte nehmen. Das müssen die Väter noch lernen.

Dieses Nehmen wird den Männern allerdings schwer gemacht von einem beruflichen Umfeld, das ihnen vielfach zu verstehen gibt, dass es unmännlich ist, Familie vor Karriere zu setzen …

Die Männer, mit denen ich zu tun habe, habe ich im Großen und Ganzen als entspannt und selbstbewusst erlebt. Ich als entspannter Mensch kann nur sagen: Was ihr meint, was ein Weichei tut und was ein harter Typ lässt, ist mir egal. Ich nehme jetzt Elternzeit für fünf Monate. Und vielleicht hilft euch das, eure steinzeitlichen Positionen zu überdenken. Worauf warten wir denn? Warten wir darauf, dass Oliver Kahn Elternzeit nimmt? Eigentlich liegt das Problem dann doch bei mir.

Neue Männer: Am Mittwoch diskutierten Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Berufspraxis auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung über das „Unternehmen Vereinbarkeit“ für die neuen Väter. Seit 2001 ist die Zahl der Väter in Elternzeit von 1,5 Prozent auf 15 Prozent im Jahr 2008 gestiegen. WSI-Expertin Christina Klenner sprach davon, dass es eine „40/80-Misere“ gibt: 80 Prozent der Frauen wünschen sich, dass ihre Männer nach der Geburt eines Kindes mehr zu Hause sind, bei den Männern sind es allerdings nur 40, die das tun wollen. In erster Linie fürchten sie Lohneinbußen und berufliche Nachteile. FER

85 Prozent der Väter in Deutschland nahmen 2008 keine Elternzeit in Anspruch. Klaus Beck vom DGB sagte, es sei ein typisch deutsches Phänomen, zu denken, dass Familienarbeit unmännlich ist.

Das stimmt. Es liegt auch daran, dass die überwiegend älteren Männer, die in Politik und Gesellschaft das Sagen haben, ein Problem haben, etwas anderes zu propagieren. Sie würden damit sich selbst als Väter infrage stellen. Ich hoffe, dass jetzt etwas in Gang gekommen ist, dass die Väter Chefs werden, die nach der Geburt ihres Kindes ein paar Wochen zu Hause geblieben sind. Sie haben kein Problem mehr, einem Angestellten fünf Monate Elternzeit einzuräumen. Man sollte nicht darauf warten, dass ein 80-jähriger Obermacho in den nächsten drei Jahren noch seine Position ändert.

Wie lange wird es denn Ihrer Meinung nach dauern, bis sich die Einstellung hierzulande ändert?

Eine Generation, sollte man erwarten. Was ich ganz geschickt an der aktuellen Gesetzgebung finde: Auch hier wird ein ganz typisch deutscher Zug angesprochen – wenn man die zwei Monate extra nicht nimmt, ist man ja schön blöd. Warum auch immer: Wenn erst mal eine Generation sich sagt, dass das weder besonders männlich noch besonders clever ist, den zusätzlichen Urlaub nicht zu nehmen, dann ist die nächste Generation mutiger und es entsteht eine Offenheit, die im Moment noch nicht da ist.