Studie: Jede zweite Frau wird dement

PFLEGE Die Zahl der Demenzkranken wird bis 2060 dramatisch zunehmen, sagt die Barmer GEK voraus

BERLIN taz | Demenz wird zur zentralen Herausforderung in der Pflege. Jede zweite Frau und jeder dritte Mann muss damit rechnen, im Laufe des Lebens dement zu werden und dann auf Pflege angewiesen zu sein. Das geht aus dem Pflegereport 2010 hervor, den die Krankenkasse Barmer GEK am Dienstag in Berlin vorstellte. „Das ist eine neue Dimension“, sagte der Vorstand Rolf-Ulrich Schlenker, „wir brauchen eine tragfähige Lösung.“

Derzeit leiden in Deutschland 1,2 Millionen Menschen an Demenz. Ihre Zahl wird sich laut Report bis 2060 mit dann 2,5 Millionen mehr als verdoppeln. Das entspreche dann, so der Report, einem Anteil von 3,8 Prozent der Bevölkerung. Als Faustformel gilt: Je älter der Mensch, desto höher die Wahrscheinlichkeit, an Altersverwirrung zu erkranken. Und: „Demenz führt fast zwangsläufig zur Pflegebedürftigkeit“, sagte der Studienleiter Heinz Rothgang vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen.

Auf die Pflege- und Krankenkassen kommen gewaltige Zusatzausgaben zu. Schon heute liegen die Kosten für Demente um jeweils 10.000 Euro pro Jahr höher als für Nichtdemente. Der Grund: Demenz erfordert eine intensivere Pflege, professionelle Leistungen werden stärker in Anspruch genommen als von nichtdementen Pflegebedürftigen. „Insbesondere berufstätige Angehörige schaffen es kaum, demente Menschen zu Hause zu pflegen“, erklärte der auf Pflege spezialisierte Soziologe Wolfgang Keck vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Wer an Demenz erkrankt sei, brauche Betreuung rund um die Uhr, um „Weglauftendenzen, Eigengefährdung und plötzlichen Angstzuständen“ begegnen zu können. „Nötig ist nicht ein Mehr an Körperpflege, sondern mehr Zeit für die Betroffenen“, sagte Keck. Der Pflegebedürftigkeitsbegriff müsse reformiert werden. „Granny-Sitting lautet das Stichwort.“

Kritik an Pflegereform

Die Bundesregierung will dem ab 2014 drohenden Defizit in der Pflegeversicherung mit einer kapitalgedeckten Zwangsversicherung zusätzlich zur paritätisch finanzierten Pflegeversicherung begegnen. Diese Pläne nannte der Barmer-GEK-Vorstand Schlenker „ungerecht“. Das Solidarprinzip müsse weiter gelten. Es spreche nichts dagegen, den Beitragssatz (1,95 Prozent) zu erhöhen.

Heinz Rothgang rechnete vor, eine ergänzende Kapitaldeckung helfe „kurzfristig nicht“, da zunächst Kapital angespart werden müsse: „Das führt bloß zu einer Mehrbelastung im Hier und Jetzt.“ SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles kritisierte: „Die drohende Unterfinanzierung der Pflegeversicherung wird so noch verschärft.“ HEIKE HAARHOFF