Nie mehr allein zu Hause

PFLEGE In Österreich können Pflegekräfte rund um die Uhr angestellt werden – mitfinanziert vom Staat. Die SPD greift das Modell jetzt für Deutschland auf

Zum Auftakt der Gespräche zur Pflegereform hat Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) Pflegeverbände für den 7. Dezember nach Berlin eingeladen. Die Trennung der Ausbildungsgänge zum Kranken- und Altenpfleger soll laut Koalitionsvertrag aufgehoben werden. Der Paritätische Wohlfahrtsverband forderte am Donnerstag eine Akademisierung der Pflegeberufe zur Aufwertung des Berufsbildes. Die Ausbildung müsse Inhalte der Altenpflege in Theorie und Praxis umfassen.

BERLIN taz | Der alte Vater wollte und sollte nicht ins Heim, darüber war sich die Familie einig. Nur: Wie lange dürfen Berufstätige ihre Arbeitszeit reduzieren, um zu Hause einen Angehörigen zu pflegen? Drei Monate? Ein Jahr? Zwei Jahre gar, wie es die Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) mit ihrem „Pflegezeit-Modell“ fordert?

Der Hausarzt hatte dem alten Mann, der hier beispielhaft für tausende Pflegebedürftiger stehen soll, zehn bis fünfzehn weitere Lebensjahre vorausgesagt. Betreut werden musste er wegen seiner Demenz aber rund um die Uhr – sonst lief er weg, schaltete den Herd ein oder ließ die Badewanne überlaufen. „Das Pflegezeit-Modell der Familienministerin greift zu kurz“, kritisierte die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles unlängst bei der Bundeskonferenz der Sozialdemokraten im Gesundheitswesen. Nach Informationen der taz arbeitet die SPD an einem Gegenentwurf: Dieser orientiert sich an einem Modell, das in Österreich seit 2007 staatlich gefördert wird: die „24-Stunden-Betreuung zu Hause“.

Im Kern geht es darum, dass Pflegebedürftige als Alternative zur Unterbringung im teureren Pflegeheim eine Rund-um-die-Uhr-Betreuerin in ihrem Haushalt einstellen können – legal und bezahlbar. Den Lohn, 800 bis 1.000 Euro im Monat, bezahlen die Pflegebedürftigen mit ihrem Pflegegeld und notfalls mit einem Teil ihrer Rente. Außerdem müssen sie kostenlos ein Zimmer im Haushalt stellen und die volle Verpflegung.

Die Beiträge für ihre Sozialversicherung hingegen trägt komplett der Staat, auch dann, wenn ein Pflegebedürftiger zwei Personen beschäftigt: Maximal dürfen die Betreuerinnen nach österreichischem Gesetz zwei Wochen am Stück arbeiten und währenddessen höchstens 128 Stunden; danach müssen sie ebenso lange frei haben. Die klassischen Pflegeleistungen wie Spritzen setzen oder Blut abnehmen übernehmen weiter professionelle ambulante Pfleger.

Zwei Prozent aller Pflegebedürftigen in Österreich nutzen dieses Angebot bisher, sagt Martin Staudinger, Pflege-Fachreferent im Kabinett des Bundesministers für Soziales in Wien. Für die Sozialversicherung ihrer Betreuerinnen gibt Österreich dieses Jahr 58,7 Millionen Euro aus. Hochgerechnet auf deutsche Verhältnisse wären das Ausgaben von rund 600 Millionen Euro jährlich.

Geld, das nach Vorstellungen deutscher Sozialdemokraten klug investiert wäre: Mehr als 2 Millionen Menschen in Deutschland sind pflegebedürftig, rund ein Drittel von ihnen lebt in Pflegeeinrichtungen. Stationäre Pflege ist teurer als häusliche Betreuung. Die meisten Pflegebedürftigen brauchen keine kostenintensive Fachpflege, sondern zeitintensive Betreuung. Es entstünden, so hofft die SPD, zudem zusätzliche versicherungspflichtige Arbeitsplätze für Unqualifizierte. Damit würden Folgekosten reduziert: Denn wenn die Pflegenden selbst alt werden, haben sie jahrzehntelang in die Rentenkassen eingezahlt.

In Österreich spielten solche Überlegungen bei der Einführung der 24-Stunden-Betreuung kaum eine Rolle. „Uns ging es vor allem darum, Schluss zu machen mit der illegalen Beschäftigung aus Osteuropa“, sagt Martin Staudinger. Seit Bund (60 Prozent) und Länder (40 Prozent) die Sozialversicherung bezahlten, gäbe es hierfür keinen Anreiz mehr. Eine Vergleichsrechnung mit der Heimunterbringung haben bislang weder Sozial- noch Wirtschaftsministerium beauftragt. Derzeit, so Staudinger, werde das Angebot „besonders im ländlichen Raum“ angenommen. In den Städten ist auch in Österreich Wohnraum teuer, viele dort haben kein zusätzliches Zimmer für Personal. HEIKE HAARHOFF