Von der Leyen hat Verständnis für Promi-Aufruf zum Dialog

AUSSENPOLITIK Deutscher Osteuropaexperte startet russlandkritische Gegenpetition unter Kollegen

Von fehlender Dialogbereitschaft könne keine Rede sein, heißt es in dem Gegenaufruf

BERLIN taz | Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat Verständnis für die Sorgen vor einem neuen Kalten Krieg. „Russland bleibt immer ein wichtiger Teil Europas“, sagte die Ministerin der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. Sie könne diejenigen gut verstehen, denen wehtue, was jetzt geschehe: „Mir selbst geht es ja auch so.“

Mehr als 60 Prominente hatten am Wochenende in einem Aufruf vor einem militärischen Konflikt mit Russland gewarnt. Zu den Unterzeichnern gehören die Grüne Antje Vollmer, Exkanzler Gerhard Schröder, Regisseur Wim Wenders, Expräsident Roman Herzog sowie die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann.

Scharfe Kritik an dem Aufruf kommt insbesondere von Grünen. Rebecca Harms, grüne Fraktionschefin im Europaparlament, nannte ihn „eine politisch-intellektuelle Zumutung“. Und Parteichef Cem Özdemir sagte dem Kölner Stadt-Anzeiger am Montag: „Es ist Russlands autoritärer Herrscher Putin, der ein neues Wettrüsten auslöst, seine Nachbarn bedroht und besetzt und im eigenen Land Jagd auf Andersdenkende machen lässt.“ Die Initiatoren des Appells hätten sich offenbar im Adressaten getäuscht, so Özdemir.

Der deutsche Osteuropaexperte Andreas Umland, der am Institut für Euroatlantische Studien in Kiew lehrt, hat unterdessen unter Fachkollegen einen Gegenaufruf gestartet. Von mangelnder deutscher Dialogbereitschaft gegenüber Russland könne keine Rede sein, heißt es in seinem Schreiben mit dem Titel „Friedenssicherung statt Expansionsbelohnung“. Obwohl russische Truppen bis heute in Teilen Georgiens und der moldauischen Region Transnistrien stünden, seien Deutschland und die EU eine „Modernisierungspartnerschaft“ mit Russland eingegangen und hätten sogar Verhandlungen über einen neuen Kooperationsvertrag angeboten. Die Mitgliedsanträge Georgiens und der Ukraine seien dagegen 2008 auf dem Nato-Gipfel in Bukarest „auf Drängen vor allem Deutschlands“ abgelehnt worden, so Umland.

„Die territoriale Integrität der Ukraine, Georgiens und Moldaus kann nicht der ‚Besonnenheit‘ deutscher Russlandpolitik geopfert werden“, heißt es in dem Aufruf. Er erinnert an die Millionen Ukrainer, die unter dem Naziregime gelitten und im Zweiten Weltkrieg umgekommen sind, und schließt mit den Worten: „Gerade wir Deutschen können nicht eben mal wieder ein Auge zudrücken, wenn es um die Souveränität einer postsowjetischen Republik, ja um das Überleben des ukrainischen Staates geht.“ Wie viele Kollegen sich dem Aufruf angeschlossen haben stand am Dienstag noch nicht fest. BAX