„Das Gesetz gilt gerade nicht“

ÄMTER In Berlin wartet man bis zu acht Wochen auf einen Termin zur Anmeldung der Wohnung im Bürgeramt. Das Meldegesetz verlangt aber eine Eintragung innerhalb zweier Wochen. Der Stadt ist’s egal

Leute handelten mit Wartemarken, oft waren nach 10 Minuten keine mehr da

BERLIN taz | Von Dingen, die in Berlin nicht funktionieren, gibt es lange Listen. Vom BER über die S-Bahn bis zur Staatsoper. Wer trotzdem nach Berlin zieht, kommt nicht nur in die Verlegenheit, mit Dutzenden Wohnungsbewerbern um die Gunst eines Vermieters zu buhlen, sondern muss dann die (überteuerte) Wohnung beim Bürgeramt anmelden. Was in anderen Städten reibungslos funktioniert, wird in Berlin zu einer zähen Angelegenheit. Nicht wegen der Berliner Schnauze – die bekommt man gar nicht erst zu Gesicht. Zwischen vier und acht Wochen müssen Meldewillige derzeit auf einen Termin warten.

Gerade für Ausländer hat das ärgerliche Folgen. Ohne Meldebescheinigung geht gar nichts – für Finanzamt, Arbeitgeber, Unis, das Bankkonto oder den Handyvertrag, für alles muss man sie vorlegen. Hier muss man entweder beim Bürgeramt nachweisen, dass es sich um einen Notfall handelt, oder vor dem Online-Terminbuchungssystem sitzen und warten, ob jemand seinen Termin kurzfristig absagt. Allerdings herrscht Allzuständigkeit, man kann also auch zum Stadtrand geschickt werden.

Die gesetzliche Meldefrist beträgt 14 Tage, sonst kann eine Bußgeldstrafe von bis zu 500 Euro verhängt werden. Wer sich bei der Hotline des Bürgerservice erkundigt, kriegt unter anderem die Auskunft, dass das Meldegesetz in Berlin „gerade nicht gilt“. Von Seiten des Senats heißt es, dass die gesetzliche Meldefrist von allen Meldepflichtigen zu beachten sei. Die Frist sei aber mit der Bestätigung des Termins gewahrt. Auch das Versäumnis einer Frist sei schuldlos, wenn sie wegen behördlichen Unvermögens nicht eingehalten werden kann, sagt Markus Heintzen, Professor für Verwaltungsrecht an der Freien Universität Berlin.

Mindestens seit 2012 vom rot-schwarzen Senat ein Personalabbau von 1.457 Stellen bis 2016 beschlossen wurde, sind die Ämter überlastet. Das sei deutlich abzusehen gewesen, sagt Stephan von Dassel, Bezirksstadtrat in Berlin-Mitte. Der Personalabbau macht doppelt zu schaffen: „Die Beantragung des neuen Personalausweises etwa dauert viel länger als zuvor. Die zusätzlichen Stellen, die wir so schon seit 2010 gebraucht hätten, haben wir nie bekommen, stattdessen wurde abgebaut.“

Ende Januar hat der Senat einen befristeten Einsatz von 31 Vollzeitstellen bewilligt. Eine Verbesserung erwartet von Dassel nicht: „Die Stellen sind noch nicht besetzt, müssen erst geschult werden und werden nicht nach Einwohnerzahlen der Bezirke, sondern nach anderen Grundlagen wie etwa den krankheitsbedingten Abwesenheiten verteilt.“ Berlin-Mitte bekommt laut von Dassel eine Stelle, was nicht einmal die längere Bearbeitungsdauer der Personalausweise ausgleiche.

Dass man in Berlin nicht mehr ins Bürgeramt spazieren und warten kann, das wurde im vergangenen Jahr schrittweise eingeführt. Nicht um die Bürger zu ärgern, im Gegenteil. Die Beschwerden seien seither deutlich gesunken, sagt von Dassel. Zuvor seien die Zustände untragbar gewesen: „Es gab Leute, die mit Wartemarken handelten, oft waren schon nach zehn Minuten keine mehr da.“ Die Lage war auch für die Beamten nicht länger zumutbar. „Sie wurden beschimpft, wenn sie in Mittagspause gingen, der Senat schlug sogar Urlaubssperren im Sommer vor und die Krankschreibungen häuften sich enorm“, sagt er.

Viele der Dienstleistungen in den Ämtern sind kostenpflichtig. Weniger Personal bedeutet also weniger Einnahmen.

Auch die rechtzeitige Anmeldung der Einwohner könnte Berlin unter Umständen bei der Höhe des Länderfinanzausgleichs nutzen, sagt Markus Heintzen: „Die Frage ist jedoch, ob sich hier zusätzliches Personal rechnet. Vermutlich wird die Antwort negativ sein.“

SASKIA HÖDL