Eine Begegnung findet nicht statt

Der Schwede Fredrik von Krusenstjerna hat einen Dokumentarfilm über den Berliner Exneonazi Ingo Hasselbach gedreht. Im Mittelpunkt steht das Vater-Sohn-Verhältnis. Das aber existiert kaum, und so kreist „Lost Sons“ seltsam um ein leeres Zentrum

von DETLEF KUHLBRODT

Wer Filme über Rechte macht, betritt ein schwieriges Terrain. Einerseits werden solche Filme gerne gefördert; andererseits stellen sie Filmer vor nur schwer zu lösende Aufgaben. Wenn sie die geforderte Distanz einhalten, kommt nichts dabei raus, was man nicht schon zuvor wusste, oder die Regisseure begnügen sich damit, Interviewpassagen etwas hilflos im Off als totalen Schwachsinn zu kommentieren, wie neulich bei einem Beitrag von „Frontal“, in dem es um rechte Frauen ging.

Wenn Filmer sich hingegen zu sehr auf ihren Gegenstand einlassen, geraten sie in den Verdacht, von denen, die sie porträtieren, benutzt zu werden oder Neonazikomplizen zu sein; wie Peter Voigt in seinen drei Filmen über Leipziger Skins oder Winfried Bonengel in seinem von vielen angefeindeten Porträt des jungen Neonaziführers Althans. Bonengel hatte nicht nur 1991 einen Film über den Nazi Hasselbach gedreht, sondern war auch Koautor des Buchs „die Abrechnung“, das Ingo Hasselbach, der ein paar Jahre als „Gauleiter von Berlin“ galt, 1993 seinem Ausstieg aus der Naziszene hinterherschickte.

Mit den oben erwähnten moralpolitischen Schwierigkeiten hat der schwedische Dokumentarfilmer Fredrik von Krusenstjerna in „Lost Sons“, seinem Film über Hasselbach, nicht zu kämpfen. Sein blonder Held, der nach seinem Ausstieg durch alle Talkshows gereicht wurde und dessen Biografie („FÜHRER-EX“) später auch in den USA ein schöner Erfolg war, gilt als geläutert. Als positive Identifikationsfigur und Exnazi zum Anfassen bereist er die Schulen und versucht, junge Leute vor dem Abgleiten in die Naziszene zu bewahren. Aus Furcht vor der Rache seiner ehemaligen Kameraden lebt er immer noch versteckt in wechselnden Berliner Wohnungen und verdient seine Brötchen unter Pseudonym als freier Autor. Hasselbachs antifaschistische Bildungsarbeit ist allerdings nur am Rande Thema des Films.

In erster Linie geht es Krusenstjerna, der vor einigen Jahren auch Sascha Anderson porträtiert hatte, um eine Vater-Sohn-Geschichte. Das bietet sich an, denn Hasselbachs leiblicher Vater, Hans Canjé, galt in der DDR als Held. In Westdeutschland war der Journalist als Kommunist verfolgt worden. Anfang der 60er-Jahre emigrierte er in die DDR, wo er als Journalist und Leiter des Jugendfunks vom Deutschlandsender Karriere machte. Um seinen Sohn hatte er sich nicht so recht gekümmert. Der wuchs zum Teil im Heim, zum Teil bei seiner Mutter und dessen Mann „Heinz“ auf und wurde nach der Geburt seines Halbbruders wie ein Stiefkind behandelt. Dass „Onkel Hans“, den er zuweilen an Wochenenden besuchte, sein wirklicher Vater war, erfuhr er erst spät.

Hans Canjé, der der DDR hinterhertrauert und für antifaschistische Zeitungen arbeitet, hatte sich von seinem Nazisohn losgesagt und auch nicht versucht, ihn nach seinem Ausstieg wiederzusehen. Ingo Hasselbach hatte sein Ausstiegsbuch zwar als eine Art Brief an den Vater formuliert, hatte aber auch keine Anstrengungen unternommen, sich mit ihm auszusprechen. Trotz der Bemühungen des Regisseurs treffen beide auch nicht im Film aufeinander. Der Vater hatte sogar zur Bedingung gemacht, dass man über alles mit ihm sprechen könne, nur nicht über seinen Sohn.

Ein seltsamer Film also, dessen Zentrum leer bleibt. Es gibt Gespräche, mit Burkhard Schröder, dem verdienten antifaschistischen Journalisten, mit Ingos Bruder, der nach Hasselbachs Ausstieg als Bruder des Verräters von seinen Kameraden geächtet wurde und die Geschichte der SS zu seinem „Hobby“ gemacht hat, mit Horst Eberhard Richter, der sich um Hasselbach gekümmert hatte; mit diesem und jenem. Die Begegnung zwischen Vater und Sohn, auf die der Film die ganze Zeit hinarbeitet, findet jedoch nie statt. Schweigen herrscht zwischen Vätern und Söhnen, und Familie ist schwierig, könnte man lapidar sagen. Ob es sich dabei tatsächlich um ein typisch deutsches Phänomen handelt, wie der Regisseur suggeriert, sei dahingestellt; etwas merkwürdig ist allerdings, dass Frauen in „Lost Sons“ nicht vorkommen.

„Lost Sons“. Regie: Fredrik von Krusenstjerna. Deutschland/Schweden 1999, 68 Minuten. Das Eiszeit und die Filmbühne bieten auch Schulvorstellungen. Infos unter Tel. 24 31 30 33 oder 6 21 27 44