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: Speers schöne Stadt: Ein neuer Führer weist den Weg zu Berliner Nazibauten

Ein wohliger Schauer und die Erkenntnis, wie sehr die NS-Architektur noch immer den Geschmack der Bevölkerung prägt

Vor einigen Monaten wurde ein Tourist in Polen mit einem eigenartigen Andenken erwischt – er hatte aus einer KZ-Gedenkstätte die Tür eines Verbrennungsofens entwendet. Zu derart ekligen Verhaltensweisen neigen die wenigsten, dennoch ist es für viele, insbesondere deutsche Berlinbesucher ein aufregendes Ereignis, wenn man ihnen bedeutet, dass sie gerade unweit der Reste des so genannten Führerbunkers stünden. Warum beim Einzelnen die Nähe eines ehemaligen Nazibauwerkes diesen wohligen Schauder auslöst, sei dahingestellt, spätestens seit Thor Kunkels „Endstufe“-Schmonzette weiß man, dass man diese obszöne Faszination zu Geld machen kann.

Insofern fragt man sich selbstverständlich, welchen Grund es haben mag, dass ausgerechnet jetzt, da in den Feuilletons die Verbrechen der Nazis angesichts des alliierten Bombenkrieges relativiert werden und ein gewisser, selbstredend „ironisch gebrochener“ Nazi-Chic wieder en vogue ist, ein renommierter Verlag wie der Christoph Links Verlag einen Stadtführer, einen so genannten „Past Finder“ herausgibt, der seine Leserinnen und Leser an die Orte der Verbrechen und zu den Zentralen der Nazi-Macht führt.

Doch der Autor Maik Kopleck hat es vermieden, den tollen Grusel herbeizuführen, lediglich manchmal wird einem etwas merkwürdig zumute. So etwa, wenn er im Kapitel über die Bombardierung Berlins schreibt: „Die Übermacht der Alliierten wurde immer erdrückender, nicht zuletzt auch, weil Hitler persönlich zahlreiche Fehlentscheidungen traf. So ließ er den ersten Düsenstrahljäger, die Messerschmidt 262, zu einem Bomber umbauen, statt ihn als Jäger gegen die ‚fliegenden Festungen‘ der Alliierten einzusetzen …“ Derartige, offensichtlich von einer Revell-Modelbau-Jugend beeinflusste Strategiekindereien finden sich leider nicht selten und der Person des „Führers“ wird eine Bedeutung beigemessen, die die Mittäterschaft der anderen Nazigrößen und ihrer politisch eher desinteressierten Freunde arg zurücksetzt.

Auch werden der Goebbels-Freund und Propagandafilmfolklorist Heinz Rühmann oder der Architekt und Rüstungsminister Albert Speer, der tausende von ZwangsarbeiterInnen auf dem Gewissen hat, als allzu menschliche Gestalten präsentiert. Ebenso ist man verwundert, wenn man neben dem „Führerbunker“ oder den SS-Verwaltungen auf Orte wie „Villa Marlene Dietrich“ trifft (weil Goebbels sie aus den USA zurückholen wollte) oder „Salon Kitty“, einen Puff, der den Nazis zur Spionagezwecken diente.

Dann wird das Dritte Reich etwas sehr zu einer sonderbaren Operettendiktatur, in der größenwahnsinnige, verhältnismäßig junge Männer – die meisten waren bei Kriegsende nicht einmal 50 Jahre alt – eine obskure Weltsicht pflegten, mit wilden Plänen um sich warfen und ansonsten ahnungslos einen Krieg entfachten. Bei alldem fehlt dann die Rolle derjenigen, die, obschon bei Verstand, mitmachten, seien es nun Wehrmachtsoffiziere, seien es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Maik Kopleck macht leider den Fehler, neutral sein zu wollen. So erscheint es, als ob die Gigantomanie des „Germania“- Hauptstadtplanes mehr Aufmerksamkeit verdiente als jene den Orte der Folter und des Mordens, in denen jene litten, die für den Führer-Mummenschanz bezahlen mussten. Trotz dieser Einwände soll das Buch empfohlen sein. Denn es zeigt in seiner Akribie noch etwas anderes – wie sehr die Stadt bis heute von der Nazi- Ästhetik durchdrungen ist. Während nämlich die sowjetischen Behörden verstanden haben, dass das Vergangene nur vergeht, indem man es unsichtbar macht, und daher die Neue Reichskanzlei und andere Prunkbauten abreißen ließen, um den Marmor und Granit aus diesen Gebäuden u. a. im U-Bahnhof Mohrenstraße oder beim Bau der sowjetischen Ehrenmale zu verwenden (und umzufunktionieren), haben sich im Westteil der Stadt viele Orte so erhalten, wie sie von Speer erdacht wurden.

Auch dass das ehemalige Göring’sche Reichsluftministerium heute das Finanzministerium beherbergt, gilt nicht als Skandal. Im Gegenteil, das Gebäude gilt als machtvoll und schön. Das ist kein Einzelfall. So ist das Dritte Reich in der Stadt weiterhin präsent und seine Ästhetik prägt den Geschmack der Bevölkerung. Albert Speer wollte viele seiner Bauten für die Ewigkeit angelegt wissen. Vielleicht, so lässt dieser Stadtführer befürchten, hatte er es geschafft. JÖRG SUNDERMEIER

Maik Kopleck: „Berlin 1933–1945. Stadtführer zu den Spuren der Vergangenheit“. Christoph Links Verlag, Berlin 2004, 96 Seiten, 12,90 E