ausgehen und rumstehen
: Auswärts unterwegs: Blues in Ludwigsburg, Berlin in Hamburg

„Sometimes when we're as close as this / It's like we're in a dream / How can you lie there and think of England / When you don't even know who's in the team“, singt Billy Bragg. Ich zitiere diese Textstelle, weil sie schön ist und weil sie mich an eine andere vom selben Künstler erinnert: „What do they know of England who only England know.“ Für England kann man auch Berlin einsetzen. Wer immer nur in der eigenen Stadt rumgondelt, erkennt bald den Wald nicht mehr vor Bäumen. Deshalb sollte es eine Tradition dieser Kolumne werden, von Zeit zu Zeit mal über den Mauerrand zu sehen und im Blick aufs Fremde sich selbst neu zu erfahren. Kommissar Schicksal gab mir dieses Wochenende Gelegenheit dazu, gleich zwei Städte vergleichend zu begutachten.

Die erste war Ludwigsburg. Einzige Attraktion dieses bei Stuttgart gelegenen Kaffs ist eine Filmhochschule, deren Schüler mich zu einem Videodreh eingeladen hatten. Sie brauchten jemanden, der mit einer Nixon-Maske verkleidet Donuts an entstellte Passanten verteilt. Ich schien genau richtig für die Rolle zu sein, weshalb sie mir aus der Unikasse Flug und Hotel kredenzten. „Strukturstarke Region“, notierte ich in mein Heft.

Als ich den etwa sechzehnjährigen Hotelpagen fragte, wo man hier ausgeht, zeigte er verdutzt auf die Eingangstür. „Nein, nicht, wo man hier rausgeht! Aus! Wo man ausgeht“, sagte ich, bekam aber zur Antwort nur ein File-not-found-Error-Gesicht. Ich will an dieser Stelle betonen, dass ich kein Lokalpatriot bin und Regionalismus verabscheue. Und doch kann ich nach meinem Ausflug nicht umhin, eines der übelsten Regionalklischees zu bestätigen: Schwaben sind sehr geizig. Und ich meine mit Geiz nicht nur eine sparsame Selbstbeschränkung, sondern durchaus eine kleinliche Engherzigkeit gegenüber anderen. Ablesen kann man dies am Verhalten der Bedürftigen. Am Bahnhof bat mich eine Bettlerin um 20 Cent. Als ich ihr 50 gab, wollte sie mir 30 rausgeben, und auf meine Weigerung, ihr Wechselgeld anzunehmen, reagierte sie mit dem erstauntesten Blick, den ich in meinem Leben je gesehen habe. „Gott segne Sie“, rief sie mir nach, als ich in den Zug zum Flughafen stieg.

Von dort flog ich nach Hamburg, um mir den „Popchor Berlin“ in der Weltbühne anzusehen. Die Weltbühne ist einer der coolsten Clubs der Hansestadt, man erreicht ihn über eine stillgelegte Rolltreppe. Eine Rolltreppe, die nicht rollt, hat etwas sehr Poetisches, fast wie ein parkendes Auto. Warm wurde ich empfangen, ebenso die polyfone Gesandtschaft aus meiner Wahlheimat. Das Hamburger Publikum wird ja oft als schwierig beschrieben. Das ist völliger Quatsch. Das Kölner Publikum ist schwierig und das ostwestfälische. In München ist es eine Katastrophe. Das Hamburger Publikum aber ist zwar kritisch, aber interessiert und durchaus begeisterungsfähig.

Eine nette Szene gab es bei „Was hat dich bloß so ruiniert“. „Wenn wir schon mal in Hamburg sind, singen wir auch was von den Sternen“, kündigte Chorleiterin Almut Klotz den Song an, worauf alle Köpfe zum nicht nur anwesenden, sondern auch alle anderen Anwesenden um zwei Köpfe überragenden Frank Spilker schwenkten. Der sah verlegen von Augenpaar zu Augenpaar, um dann aus Übersprung grölend in Applaus auszubrechen. „Warum sind die meisten Frontleute der Hamburger Schule so groß?“, fragt ein Eintrag in meinen Aufzeichnungen. Ich habe die Antwort inzwischen gefunden, leider reicht aber der Platz nicht mehr aus. Auch an DJ Volljurist und DJ Snorkel nur so viel: Danke und ich bin nicht mehr böse, dass ihr „Exakt Neutral“ nicht gespielt habt. JENS FRIEBE