Auf Pop komm raus

Zwei Tage Popkomm sind rum: Beherzt und konzertiert haben wir uns den 400 Stunden Live-Musik, den 1.500 Musikern aus 23 Ländern, den Lesungen, Clubevents, 800 Messeständen und der ganzen Aufregung angenähert. Sechs Schlaglichter

MesseMusik für alle

Wollte ich, dann könnte ich eine „kostenlose Lizenzabrechnungsprüfung“ bekommen. Auf der Postkarte steht groß „Gutschein“, und die Postkarte hat jeder Journalist bekommen, mit in dieser Tasche, die auch kostenlos war.

Wegen dieser Taschen wirkt die Popkomm diesmal, als fände sie Mitte der Siebzigerjahre statt. Denn genau solche Taschen aus militärgrünem Leinen, die aussehen, als seien sie aus einem Seesack geschneidert, gab es damals schon, und das darauf gedruckte Popkomm-Logo hat auch was Psychedelisches.

Ansonsten hat die Messe wenig Bewusstseinserweiterndes. Es gehe sowieso wenig um Musik hier, meint eine Plattenfirmenmitarbeiterin. Das stimmt so natürlich nicht: Der Stand der Gema verspricht in ziemlich großen Lettern „Musik für alle“. Dahinter steht ein roter Doppeldeckerbus aus London – und London, ja wenn das nichts mit Musik zu tun hat. Kopierschutz, den man, wäre man eine Plattenfirma, hier für seine Produkte erwerben kann, auch der hat ja irgendwie was mit Musik zu tun.

Und auch eine Lizenzabrechnungsprüfung hat bestimmt ganz viel mit Musik zu tun. Ein Mitarbeiter einer anderen Plattenfirma erzählt, dass er gestern an der Spree war und dann noch in diesem Club, von dem er jetzt den Namen vergessen hat, und irgendwie nicht mitgekriegt hat, welche Bands da gespielt haben. Der allerdings hat sich auch nicht beschwert, dass es bei der Popkomm nicht um Musik ginge.THOMAS WINKLER

Kulturbrauerei 1Ödnis und Rührseligkeit

In der Kulturbrauerei gab es am Popkomm-Donnerstag alles, bloß nichts Neues. Außer im NBI wurde überall gerockt, mal wie gestern, mal wie vorgestern, und gerne auch mal wie vorvorgestern. Man kam sich vor wie in einer Zeitmaschine, dabei hätte man doch so gerne etwas von der Gegenwart mitbekommen.

Gut, die aktuelle Popmusik mit ihrem Revivalrock ist absolut öde, aber im Großen und Ganzen wohl doch nicht ganz so öde, wie sie hier präsentiert wurde. Heiß, cool, trendy, hip, also so, wie man es auf der Popkomm eigentlich erwarten dürfte, war hier gar nichts.

Tuco’s Lounge kommen aus Norwegen, sehen genauso aus und klingen auch so: Sie servierten den typisch skandinavischen Garagenrock, den man langsam wirklich nicht mehr ertragen kann. Robocop Kraus präsentierten sich im wieder beliebt gewordenen Sixties-Uniform-Look – der optisch mittlerweile eine ganze Armada auszustatten scheint – und waren deswegen und auch ansonsten genauso unoriginell originell wie 750 andere junge neue Rockbands, die man zur Zeit im Stundentakt vorgesetzt bekommt.

Wo blieb das Aufregende? Wo war die Popkomm mehr als ein routiniertes Schaulaufen langweiliger Bands? Vielleicht noch bei Ben Lee. Den mal wieder zu sehen, das ging ans Herz. Wie er da auf der Bühne stand, vor ein paar sich in das Maschinenhaus verirrt Habenden, und mit der Klampfe in der Hand tapfer versuchte, irgendetwas darzustellen, das hatte etwas Rührendes.

Ben Lee war schließlich einmal mit seiner damaligen Band „Noise Addict“ Liebling der Beastie Boys und von Sonic Youth. Damals, Anfang der Neunziger, befand er sich noch vor dem Stimmbruch, und in seinem Hit „I Wish I Was Him“ träumte er davon, irgendwann einmal ein cooler Popstar zu sein. Geworden ist er das nicht. Doch genau dafür war man ihm, umgeben vom Rest Popkomm, dankbar.

ANDREAS HARTMANN

Kulturbrauerei 2Lächeln mit den Alten

„Wer von euch kann mir den Titel einer Krautrockplatte sagen?“, fragt Gerhard Augustin. In Anbetracht der Tatsache, dass die gut zwei Dutzend Zuhörer gekommen sind, um im Rahmen der Word-up-Reihe den selbst erklärten „Paten des Krautrock“ aus seiner genau so betitelten Autobiografie lesen zu hören, ist die Reaktion erstaunlich: Niemand sagt ein Wort. „Ja“, lächelt Augustin nach ein paar Sekunden, „Krautrock ist immer gnadenlos überschätzt worden. Krautrock is nothing.“

Augustin wanderte 1960 nach New York aus, trieb sich dort im Greenwich Village herum. Dann ging er nach Bremen zurück, machte dort eine der ersten Diskotheken Deutschlands auf, erfand für Radio Bremen den legendären „Beatclub“, wurde Manager der Krautrocker Amon Düül und siedelte nach L. A. über, um mit Ike und Tina Turner zusammenzuarbeiten.

Das ist die Kurzfassung, seine Memoiren haben mehr als 400 Seiten und bestehen im wesentlichen aus Anekdoten. „Manche Leute finden das unangenehm, die denken, ich würde so tun, als sei ich der Größte“, sinniert Augustin, „aber warum hätte ich das Buch sonst schreiben sollen?“

Und tatsächlich ist es auch nicht unangenehm, denn Augustins Buch ist wie seine Lesung: grandios selbst gemacht-chaotisch, voller Anschlussfehler, Zeitsprünge, üblem Klatsch und lustigem Tratsch – man kann gar nicht anders, als seinen Autor zu mögen.

In Amerika hätte er einen Ghostwriter beauftragt, und Talkshow-Auftritte und Hochglanzlangeweile wären das Ergebnis gewesen. Hier sitzt Augustin vor ein paar Zuschauern und erzählt, wie das so war, 1970 bei der Plattenfirma Universal Artists in Los Angeles, wo es eine Dope-Zentrale gab, wo jeder Angestellte hin konnte und sich auf Kosten des Hauses die Nase pudern. Dann gibt er der Band, die vor ihm gespielt hat, noch ein paar Tipps. Profi ist eben Profi.

TOBIAS RAPP

Festsaal KreuzbergStetiges Glimmen

Non-Popkomm war das Programm am Donnerstag im Festsaal Kreuzberg. Der Ort, sonst eher bekannt für türkische Hochzeiten und verbrecherische Leseshows, füllte sich diesmal mit Indie-Musik für zwei verschiedene Stimmungslagen. Es kam dabei darauf an, bis zur Schluss-Stimmung durchzuhalten.

Der Reihe nach: Hidalgo aus Nürnberg gaben sich wild-poppig und harmonierten gut mit der rustikalen, etwas saloonhaften Holzstuhlatmosphäre des Festsaals. Dann folgte der erste Teil „Musik der Stille“, Savoy Grand. Mit konzentrierter Ruhe traten die Männer aus Nottingham an gegen das Klirren der Bierkrüge und den Gesprächsschall vom Tresen vis-à-vis.

Und tatsächlich hatten sie schon beim zweiten Stück mit ihrer schönen Melancholie das Gros des Publikums im Griff – Musik als Soundtrack zur Beobachtung eines langsam auf einem herbstlichen See treibenden Blattes. Dann aber ging es beherzt wieder in Richtung Rustikalität: Julia Hummer zeigte dem vollen Saal, dass sie nicht nur (schau-)spielen, sondern auch Country-Singen kann.

Die mittlerweile schwarzhaarige Hummer agierte trotz umgehängter Gitarre und Mundharmonika nicht als Alleinunterhalterin: Ihre mit vier gar nicht so „Too Many Boys“ halfen, fast jedes Lied durch die Gitarrenriffs aus Velvet Undergrounds „Waiting for my man“ schwungvoll ein- und auszuleiten.

Trotzdem: Es war eine lange Phase bis zur zweiten Stille, die es durchzuhalten galt. Mit den norwegischen The White Birch durfte man dann wieder in ätherischem Sound entschweben. Stücke und Instrumente wechselten – der Trancezustand blieb, ein stetiges Glimmen.

Vielleicht hundert Menschen, darunter auch reifere Damen, hatten darauf gewartet, zu so später Stunde, aber es hätte gern die ganze Nacht dauern dürfen, wenigstens noch eine Zugabe, die leider, aber entschuldigt, ausblieb. IMKE STAATS

Messe, Kino, MoskauLob dem Olivenöl

Das Grauen. Auf der U-Bahn-Fahrt zum Messegelände die vom Stadtmagazin in Umlauf gebrachte Popkomm-CD auf den Ohren. Alles darauf ist schlimm, und Knorkators rammsteinig gegrölrolltes „Wir werden alle sterben“ fräst sich auch noch als Wurm in die Gehörgänge.

Der Sound-Sukkubus findet seine Entsprechung: Die Gänge unterm Funkturm sind leer, die Stände Stangenware der Messebaufirmen. Im Konferenzraum „Stockholm“ bekommen gepflegt behemdete Vertreter von Jusos, Julis und Jungunionisten sowie Thees Uhlmann vom Label Grand Hotel van Cleef zur Mittagszeit die Frage vorgelegt, ob Pop jetzt politisch schwarzsehen müsse. Oder ob Schwarz, weil Angie doch eine Stones-Queen, nicht „total super für die Popkultur“ wäre. Super fände Indie-Impresario Uhlmann eigentlich nur mehr Respect von Staat und Gesellschaft, seine Sehnsucht nach einem Pop-Politik-Beischlafsverhältnis wie im coolen Britannien ist so grenzen- wie hirnlos.

Verstört verlässt man die kränkliche Messe, Glamour pur wird zur Dringlichkeit, man will Schampus- und Limousinenorgien. Mit denen rechnet man am Donnerstag im Popkomm-Berlin nur auf der Leinwand im Kino Central. Hier präsentiert der Bayern-Meister DJ Hell seine „Freak Show“: Eine demnächst als DVD erhältliche Rückschau auf acht Jahre International Deejay Records.

Die ist auf Dauer ein bisschen eintönig, nach der Messe-Graumäusigkeit aber auch sehr wunschgemäß: Vor Begeisterung sich fast entleibende Tänzermassen, konsequent bestgelaunte Mitglieder der Gigolo-Posse und natürlich „Helli“ in der Vielfalt seiner Rollen – als Saunierer mit Ray Ban, Rave-Zeremonienmeister im weißen Anzug, die goldene Kreditkarte zwischen den Zähnen, und als Partytier, geherzt von Freunden und Frauen.

Jetzt muss noch Sex und Funk und Unkontrollierbarkeit in Echt sein. „Glamour To Kill“ beim spanischen Trashpop-Abend im Café Moskau heißen so, als könnten sie die Suche nach dem Glitzer-Faktor noch ein Happy End aufdrücken.

Und es funktioniert: Der schmalhüftige Sänger ist Freddie Mercury und Peaches gleichzeitig und trägt tatsächlich seine Sonnenbrille bei Nacht! Er sonoriert simple Wahrheiten wie „Rock ’n’ Roll makes me sexy“ ins Mikrofon, an dem er latexbehandschuht gleichzeitig seine masturbatorische Fingerfertigkeit vorführt. Er sitzt komplett überdeterminiert auf seinem queeren Dampfer! Einen Blumentopf der Innovation können „Glamour To Kill“ mit ihrem Rock-Disco-Fick-Crossover nicht gewinnen. Aber sie haben wenigstens nichts schwarzgesehen, sie haben ganz platt auf Regenbogen gesetzt. Und das spanische Olivenöl gelobt.KIRSTEN RIESSELMANN