Bühne fürs Selbstwertgefühl

Mit „Romeo und Julia“ hat die Kontakt- und Beratungsstelle für junge Menschen in Not ein Theaterprojekt initiiert, um Straßenkindern eine Perspektive zu geben

Die Szene ist tieftraurig. Eine Journalistin befragt einen jungen Mann zu einem Theaterprojekt, und plötzlich fängt er an zu weinen. Der junge Mann gehört zu einer Gruppe von Berliner Straßenkindern, die in einer Art Abrisshaus „Romeo und Julia“ einstudiert haben. Es ist Generalprobe und Journalisten sind gekommen. „Ist das schwer für Sie, auf der Straße zu leben?“, fragt nun die Journalistin und der junge Mann beginnt, ihr von seinem Absturz zu erzählen, bis er vor Tränen nicht weitersprechen kann. Beklommen nestelt die Journalistin an ihrem Block und hakt unsicher nach, ob sie ihm irgendwie helfen kann.

Die Szene ist gespielt. Als Teil einer Theateraufführung, in der sich zwölf Jugendliche mit Shakespeares „Romeo und Julia“ auseinander setzen. Vor dem eigenen „sozialen Lebenshintergrund“, wie es in einer Presseerklärung des Projekts der Kontakt- und Beratungsstelle für junge Menschen in Not (KuB) heißt: Die jugendlichen Straßenkinder bringen ihre eigenen Erfahrungen mit ins Spiel – auch Valerie, die hier als Journalistin auftritt, und Olli, ihr zusammenbrechender Gesprächspartner.

Valerie ist 15 und ist nach Schulabbruch mit ihrem Freund Olli nach Berlin gekommen, dem Ziel Nummer eins für Jugendliche, die hier in einer halblegalen Grauzone auf der Straße leben, sich mit Schnorren, Sozialhilfe, manchmal auch mit Prostitution über Wasser halten. Die KuB spricht von über 1.200 Jugendlichen, die sie jährlich mit ihrem Angebot erreicht: vom Sleep-in für Minderjährige nahe dem Bahnhof Zoo über ein Café für Straßenjugendliche bis zum Beratungsbus mit Drogenberatung. Und ebendiesem Theaterprojekt, das inzwischen zum achten Mal von der Wiener Schauspielerin Margareta Riefenthaler geleitet wird, die ihr Handwerk in den Siebzigerjahren am Wiener Max-Reinhardt-Seminar gelernt hat.

Geprobt wird im Center für Straßenjugendliche, einer Baracke zwischen Zoo und Tiergarten. Die teilnehmenden Jugendlichen bekommen eine BVG-Karte und eine warme Mahlzeit. Hunde und andere Haustiere dürfen zur Probe mitgebracht werden. Mit großer Geduld motiviert Riefenthaler die jungen Leute zur Konzentration und lässt sich dabei weder von bellenden Hunden noch von der Tatsache aus der Ruhe bringen, dass der Darsteller des Romeo kurz vor der Premiere im Gefängnis und die Julia nach massivem Drogenmissbrauch in der Psychiatrie gelandet ist.

Riefenthaler hat selbst vier Kinder großgezogen und nimmt ihre Schauspieler von Grund auf ernst, ermutigt sie, ihre Lebensgeschichten als künstlerischen Rohstoff zu verwenden. „Es geht darum, den Jugendlichen erst mal eine Spur von Selbstwertgefühl zu vermitteln“, sagt sie. Und die Angst vor Strukturen zu nehmen. „Bisher ist es immer gelungen, die teilnehmenden Jugendlichen von der Straße zu holen“, sagt KuB-Leiter Robert Hall.

Während überall das Versagen von Pädagogik anhand der Neuköllner Rütli-Schule diskutiert wird, konnte man Sonntagabend in der Tribüne ein gelungenes Beispiel für motivierte Jugend betrachten: Da ist der 18-jährige Punk „Schlaubi“, der auf der Bühne plötzlich die erstaunliche Wandlung zum Sozialarbeiter und hochsensiblen Romeo durchmacht. Oder die 22-jährige Aniko, in deren massigem Körper eine ganz große Blues-Stimme steckt; da ist die 17-jährige Nele mit grünem Schopf auf halber Glatze, martialischem schwarzen Outfit, die ihre Julia mit dem zarten Schmelz junger Schauspielschülerinnen unterlegt. Und der 22-jährige Chris, der einen Polizisten mit der gleichen Glaubwürdigkeit wie einen fiesen Dahlemer Unternehmer spielen kann. ESTHER SLEVOGT

Weitere Vorstellungen: 5./6. April, Tribüne, Otto-Suhr-Allee 18