„Da schlagen Klischees gnadenlos zu“

2003 lernte der Hamburger Benjamin Prüfer in Phnom Pen die kambodschanische Prostituierte Sreykeo Sorvan kennen. Sie verlieben sich. Auch als Sreykeo erfährt, dass sie HIV-infiziert ist, bleiben sie zusammen und heiraten. Ein Gespräch über Verantwortung, Mitleid und das Unverständnis anderer

Es ist die Geschichte einer nahezu unmöglichen Liebe: Im Herbst 2003 lernt der Hamburger Journalist Benjamin Prüfer in einer Animier-Bar in Phnom Pen die Prostituierte Sreykeo Sorvan kennen. Es bleibt nicht bei einer Bezahl-Nacht: Der 23-Jährige verliebt sich in die junge Frau und verbringt den Rest seines Urlaubs bei ihr. Dabei lernt er ihre Familie und ihre schwierige Lebenssituation im Rotlichtmilieu der kambodschanischen Hauptstadt kennen.

Als er wieder nach Deutschland zurückmuss, verspricht er Sreykeo, sie finanziell zu unterstützen und in einem halben Jahr nach Kambodscha zurückzukehren, wenn sie mit der Prostitution aufhört. Doch die Liebe des ungleichen Paars ist bald Bewährungsproben ausgesetzt. Während Prüfers Freunde in Deutschland die Liaison nur milde belächeln, kann Sreykeo das Milieu nicht hinter sich lassen. Das Geld, das ihr Geliebter ihr schicken kann, reicht zum Leben nicht aus.

Kurz darauf erfährt die junge Kambodschanerin, dass sie HIV-infiziert ist. Die Beziehung steht vor dem Scheitern – und trägt doch. Trotz vieler Zweifel und Widerstände entscheidet sich Prüfer dafür zu kämpfen, für eine gemeinsame Perspektive zu kämpfen.

Mit Prüfers Hilfe beginnt die todkranke Frau eine Therapie, die den Virus niederhält. Im vorigen Jahr haben die beiden in Kambodscha geheiratet. Seit vergangenen Dezember leben sie zusammen in Hamburg und planen, eine Familie zu gründen.

Prüfer hat diese Geschichte aufgeschrieben. Zunächst in einem vielbeachteten Artikel, der im Magazin Neon im Januar 2006 veröffentlicht und vor wenigen Monaten mit dem Medienpreis der AIDS-Stiftung ausgezeichnet wurde. Vergangene Woche erschien im Scherz-Verlag sein Buch „Wohin du auch gehst“.

Auf 288 Seiten erzählt der heute 28-jährige Prüfer eindringlich, aber sehr unaufgeregt die Geschichte dieser Grenzen überspringenden und dem tödlichen Virus die Stirn bietenden Liebesbeziehung. Da Prüfer bei der Schilderung der vergangenen vier Jahre, die sein Leben grundlegend veränderten, ohne sentimentale Schnörkel auskommt, gleitet das Buch nie in kitschige Betroffenheit ab und kommt ohne Klischees aus. Da stört es kaum, dass der Verlag versucht, das Buch mit pathetischen Ankündigungen über die „ergreifende Geschichte“ einer „großen Liebe“ zu vermarkten.

Marco Carini

Benjamin Prüfer: „Wohin Du auch gehst“, Scherz-Verlag. 16, 90 Euro.

INTERVIEW: MARCO CARINI

taz: Frau Sorvan, Sie leben seit einem Dreivierteljahr in Deutschland. Wie haben Sie sich eingelebt? Sreykeo Sorvan: Ich lebe hier sehr gern. Ich vermisse meine kambodschanische Heimat nicht, nur meine kleine Schwester Rottana fehlt mir. Als ich vor einigen Monaten für vier Wochen zu Hause war, habe ich mich dort nicht mehr wohl gefühlt.

Was ist noch fremd hier?

Sorvan (lacht): Dass es hier für alles Maschinen gibt. Als ich das erste Mal putzen wollte, wurde mir ein Staubsauger in die Hand gedrückt. Zum Eier kochen gibt es eine Maschine, zum Essen-Warmmachen die Mikrowelle. Das ist schon sehr neu für mich! Es ist aber toll, einfach eine Waschmaschine zu befüllen, bevor ich das Haus verlasse, und wenn ich nach Hause komme, ist die Wäsche fertig.

Wie geht es gesundheitlich?

Es geht mir sehr gut. Seit ich die richtigen Medikamente nehme, fühlt es sich an, als hätte ich mich nie infiziert. Ich spüre kaum Nebenwirkungen. Die Virenkonzentration in meinem Blut liegt unterhalb der Nachweisgrenze.

Böse Zungen sagen, Sie hätten mit dem Buch Ihre Liebesgeschichte vermarktet.

Benjamin Prüfer: Ich wundere mich immer über den Vorwurf der Schicksalsvermarktung. Wenn du eine Frau hast, die HIV-positiv ist, bist du ein Opfer, dem das Mitleid deines Umfeldes sicher ist. Wenn du aber damit offensiv umgehst, kein Opfer sein willst, erntest du diesen Vorwurf.

Sreykeo Sorvan, was denken Sie über das Buch?

Sorvan: Mein Deutsch ist noch nicht gut genug ist, um es lesen zu können. Deshalb kenne ich den genauen Inhalt nicht. Aber ich vertraue Benjamin da voll und ganz.

Was war für Sie der ausschlaggebende Grund, Ihre Geschichte öffentlich zu machen?

Prüfer: Der Anlass, diese Geschichte Anfang 2006 erstmals in Neon zu veröffentlichen, waren Geldprobleme. Wir brauchten das Honorar dringend, um Sreykeo eine Ausstiegsperspektive aus der Prostitution zu geben und die teuren Medikamente zu bezahlen. Der zweite Grund ist: Durch die Veröffentlichungen ist für uns vieles einfacher geworden. Früher hat unsere Umwelt uns als den Freak mit der Nutte wahrgenommen. Als deutscher Mann mit einer asiatischen Frau hast du nichts zu lachen. Da schlagen Klischees und Vorurteile gnadenlos zu. Selbst meine Freunde haben nicht verstanden, warum ich mich für Sreykeo so eingesetzt habe. Erst seit den Veröffentlichungen wird uns mit Respekt und Aufmerksamkeit begegnet.

Hat die skeptische Reaktion Ihrer Freunde Sie an der Beziehung zweifeln lassen?

Natürlich denkt man über solche Reaktionen nach, stellt sich die Frage, ob man sich in etwas verrannt hat und es nur nicht merkt. Ich habe mich gefragt: Bin ich der Einzige, der Recht hat und alle anderen haben einen Knall?

Hat sich durch Benjamin ein Traum erfüllt? Der Traum vom Prinzen aus einer besseren Welt, der einen aus Armut und Prostitution herausholt?

Sorvan: Ich hatte im Alter von 16 den Traum, dass eine Straße vor mir in Flammen steht und ein Mann mich vor dem Feuer rettet. Am Tag, als ich Benjamin das erste Mal traf, habe ich zwei Wasserschildkröten im Teich des Königspalastes von Phnom Phen freigelassen. Auf ihre Panzer habe ich geschrieben, dass ich mir einen Mann wünsche, der für mich sorgt. In der Nacht ist mir Benjamin begegnet und unsere Geschichte begann.

Was war bislang der schwierigste Moment in Ihrer Beziehung?

Prüfer: Als ich herausgefunden habe, dass Sreykeo weiter anschaffen geht, war ich kurz davor, die Beziehung endgültig zu beenden. Dann ist mir klar geworden, dass Sreykeo es nur dann gelingt, ihr altes Leben hinter sich zu lassen, wenn irgendwo ein neues auf sie wartet. Wir haben einen Vertrag geschlossen. Wenn sie es schafft, mit meiner finanziellen Hilfe die Prostitution aufzugeben und Englisch zu lernen, werde ich sie nach Deutschland holen und heiraten. So ist es dann gekommen.

AIDS ist und bleibt unheilbar – wie groß ist die Angst um Sreykeos Leben heute?

Da die Therapie gut funktioniert, können wir nach Auskunft der Ärzte damit rechnen, dass Sreykeo eine annähernd normale Lebenserwartung haben wird. Wir begreifen den Virus als chronische Krankheit. Der Unterschied zu Krankheiten wie Diabetes ist, dass HIV unberechenbarer ist und das Medikament irgendwann versagen kann. Zur Zeit schränkt uns das Virus in unserem Alltag nicht sehr ein.

Wie groß ist die Angst vor Ansteckung?

Prüfer: Wir benutzen beim Sex Markenkondome und haben noch nicht erlebt, dass eines reißt. Da die Virenmenge in Sreykeos Blut sehr gering ist, wäre aber auch dann die Ansteckungsgefahr nicht besonders groß.

Frau Sorvan, wie sehen Sie Ihre Zukunft hier in Deutschland?

Es ist wichtig für mich, besser Deutsch zu lernen. Das erste Geld verdiene ich mir nebenbei schon damit, dass ich etwas Khmer-Sprachunterricht gäbe.

Wollen Sie Kinder haben?

Prüfer: Ja, wir wollen Kinder. Das Risiko für das Kind, infiziert zur Welt zu kommen, ist sehr gering. Es liegt – je nach Statistik – zwischen 0,5 und 2 Prozent.

„Früher hat uns unsere Umwelt als den Freak mit der Nutte wahrgenommen. Als deutscher Mann mit einer asiatischen Frau, hast du nichts zu lachen“

Sie haben sehr viel Verantwortung für Sreykeo übernommen. Lassen sich in Ihrer Beziehung Verantwortungsgefühl, Fürsorge und Liebe noch auseinanderhalten?

Diese Frage verstehe ich nicht.

Verantwortung und Liebe sind nicht deckungsgleich.

Ich halte diese Trennung für einen typisch westlichen Denkansatz. Für andere Kulturen ist die Vorstellung befremdlich, Liebe und Verantwortung zu trennen. Liebe, die keine Verantwortung übernimmt, ist nur ein Egotrip. Verantwortung und Liebe sind für mich nur zwei verschiedene Worte für dasselbe.

Frau Sorvan, was bedeutet es für Sie, dass Sie Ihre ältere Schwester in Kambodscha in einer Situation zurücklassen mussten, der sie selbst weitgehend entrinnen konnten: Auf Prostitution angewiesen, HIV-infiziert und ohne optimale Gesundheitsversorgung?

Meine Schwester nimmt die gleichen Medikamente wie ich. Das Problem ist aber, dass sie sich wenig für ihre Zukunft interessiert und nicht gut auf sich aufpasst. Sie hat nie Hilfe angenommen, um sich aus ihrer Situation zu befreien.

Prüfer: Wir haben ihr sogar angeboten, Englischunterricht zu finanzieren um ihr Perspektiven zu geben. Aber sie hat nur gesagt, dass ihr die Buchstaben Kopfschmerzen machen.

Haben Sie in Deutschland mit bürokratischen Hindernissen zu kämpfen?

Prüfer: Die zeitlich begrenzte Aufenthaltsgenehmigung für Sreykeo zu bekommen war überraschend schmerzfrei. So lange wir verheiratet sind, ist eine Verlängerung eine reine Formsache.