Schwul-lesbisches Raumschiff

Die Hamburger Autorin Ulrike Nolte hat ihr Coming-out in einem Science-Fiction-Roman verarbeitet – und dafür den renommiertesten Preis des Genres bekommen

Es begann während eines langen schwedischen Winters, Ulrike Nolte war Austauschstudentin in Linköping und „musste irgendwas machen, um nicht verrückt zu werden“. Heraus kam ihr erster Roman „Jägerwelten“, ein Science-Fiction-Thriller über zwei junge Galaxisforscher, die auf eine Abschussliste der Regierung geraten. „Sex kommt noch nicht vor“, sagt Nolte. „Dafür war ich da noch zu schüchtern.“

Sechs Jahre und ein Coming-out später hat Ulrike Nolte mit „Die fünf Seelen des Ahnen“ einen der ersten deutschen Science-Fiction-Romane mit homosexuellem Inhalt geschrieben. Er spielt in einem Raumschiff, in dem sich die Gesellschaft verändert hat. Homosexualität ist die Norm, Heteros sind die Exoten. Dazu kommt ein Alien, das quer durch die Geschlechter in fremde Körper schlüpft.

Schwul-lesbischer Science Fiction sei in den USA stark im Kommen, sagt Nolte und nippt an ihrer Bionade, Geschmacksrichtung Ingwer-Orange. In Deutschland sei die SF-Community noch nicht so weit. Allerdings gebe es zahlreiche Foren und Blogs, die prominente Science-Fiction-Figuren wie Harry Potter „kapern“, um mit ihnen die eigenen schwul-lesbischen Geschichten zu erzählen.

Science Fiction sei immer ein guter Ort für Grenzüberschreitungen gewesen, meint Nolte. Seit den 50er Jahren gebe es das Motiv des Körpertauschs. Männer in Frauenkörpern und Frauen in Männerkörpern seien nicht unbedingt homosexuell, es sei aber ein Schritt zur Auflösung der heterosexuellen Matrix.

Seit sie sich als Schülerin in der Stadtbibliothek von Bad Segeberg durch die Bände „Der Herr der Ringe“ las, ist Nolte dem Science Fiction verfallen. Ihre Doktorarbeit hat sie über Harry Martinson geschrieben, einen schwedischen SF-Autor, der 1974 den Nobelpreis gewann. Es geht um den Kalten Krieg, um Zivilisationskritik und das Ende der Menschheit. Ausschnitte seiner Bücher hat sie übersetzt – leider sei es bei den Ausschnitten geblieben. „Die deutschen Verlage zucken da zurück“, Nolte schüttelt den Kopf.

Als Science-Fiction-Autorin ist sie Kummer gewohnt. Geld verdiene sie mit ihren Übersetzungen, nicht mit den Romanen, für die sie einige Preise erhalten hat – zuletzt für „Die fünf Seelen des Ahnen“ den „Deutschen Science Fiction Preis“, der in Deutschland als renommiertester des Genres gilt.

Ulrike Nolte sei „mit einem Werk hervorgetreten, dass vor Einfällen nur so überquillt“, schrieb ein Kritiker über „Die fünf Seelen des Ahnen“. Und wirklich ist das Panoptikum der Lebensformen und Technologien, das Nolte entwirft, erstaunlich. Intelligente Wesen treiben als Helium-Gleiter in der Atmosphäre und verlieren das Zeitgefühl, während ihr Tiefenselbst versucht, seine Inkarnationen zu sortieren.

„Als erstes habe ich den Gestaltwandler entwickelt“, sagt Nolte, die rotes Haar hat und blasse Haut. Wie alles, was sie sagt, klingt auch dieser Satz sehr bestimmt. DANIEL WIESE

Ulrike Nolte: „Die fünf Seelen des Ahnen“, Atlantis Verlag, 227 S., 12,90 Euro