Beuys heilt Wunden

Die wahre Kunst am richtigen Ort: Das Bremer Krankenhaus-Museum zeigt den bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Wer das wäre? Natürlich Joseph Beuys, der Überwinder des neurotischen Kunstbegriffs und Befreier der Menschheit

Was die Kunst angeht, war Joseph Beuys der Messias. Alle Fragen, ob er Genie oder Scharlatan oder Irrer gewesen sei – völlig sinnlos. Denn egal, ob als Trickbetrüger oder als Erleuchteter: Beuys war ganz einfach der bedeutendste Künstler des 20. Jahrhunderts. Der beste? Ach was. Sicher hat Picasso hübscher gemalt. Aber Bedeutung hat das alles nicht, verglichen mit Beuys. Der hat der Kunst ein neues Selbstverständnis gegeben, ein neues Ziel, einen neuen Sinn: Kunst sei , hat er einmal gesagt, „die einzige evolutionäre Kraft“. Schönheit ist da höchstens ein Nebenaspekt. Es geht um die Befreiung des Menschen. Die Heilung der Gesellschaft. Und um die Rettung der Welt.

Klar, dass so jemand die Gemüter bewegt: Vom Ende der 1960er bis weit nach seinem Tod 1984 war er die Figur, an der sich die Debatten über Kunst entzündeten. Und noch vergangenes Jahr gab es mindestens 88 Beuys-Ausstellungen – ganz ohne Anlass. Mit „Joseph Beuys. Heilkräfte der Kunst“ ist diejenige, die sich wohl am engsten an seinem so spezifischen Ansatz ausrichtet, im Norden angelangt. Zu sehen ist sie ab Sonntag im Bremer Krankenhaus-Museum. In Auszügen wenigstens – das Haus ist deutlich kleiner als jenes Wiesbadener Museum, für das der Arzt und Sammler Axel Hinrich Murken die Schau konzipiert hatte.

Aber auch prominent ergänzt. So wird das autorisierte Video der Aktion „I like America and America likes Me“ von 1974 gezeigt: Darin ist zu sehen, wie sich Beuys, komplett in Filz gewickelt, am New Yorker Kennedy-Airport von einem Krankenwagen abgeholt und in einen Zwinger abtransportiert wird. Dort wird er einem Kojoten begegnen. Das Tier, in indianischen Mythen Ermöglicher des menschlichen Lebens, wird mit ihm allmählich in Kontakt treten: eine Art Versöhnungs-Szene. Deren ökopolitische Symbolkraft zweifellos beabsichtigt war: Beuys hat 1972 für direkte Demokratie geboxt – eine Einladungskarte zum Kampf ist Teil der Ausstellung. Und er hat, als die noch eine Anti-Partei sein wollten, für die Grünen kandidiert und Plakate entworfen.

Von Amerika wird Beuys am Ende seines viertägigen Aufenthalts mehr als den Zwinger und den Kojoten nicht gesehen haben: Erneut komplett in Filz gehüllt, wird er wieder zum Flughafen transportiert – per Krankenwagen.

Das Krankenhaus-Museum ist der ideale Ort für Beuys, und das nicht nur wegen des Ausstellungstitels: Im Kultur-Ensemble arbeitet man seit jeher zu den Berührungspunkten von Gesundheitswesen mit Musik, Künsten und Klinikbetrieb. Im Rahmenprogramm wird Soziologin Annelie Keil das Beuys’sche-Schamanismus-Konzept erläutern, die durch ihre Feldforschungs-Kunst berühmt gewordene Hamburger Performerin Lili Fischer hält eine Gewürzpredigt. Beuys wiederum hat sich wie kaum ein anderer Künstler mit naturheilkundlichem Wissen, Alchemie und Homöopathie beschäftigt. Einschließlich ihrer industriellen Wiederverwertung: „Wirtschaftswert“ heißen Assemblagen aus Kamillentee- oder Wundverband-Packungen, auf Bütten geklebt und ordentlich gerahmt – da braucht man kein Fachwissen, um das dem Medizinbereich zuzuordnen. Aber wenn man ratlos fragt, was Immanuel Kant und eine Maggi-Flasche in der Rubrik zu suchen haben, bekommt man im Krankenhaus-Museum zuverlässige Erklärungen. Und folglich leichten Zugang zu den unerschöpflichen Assoziationsräumen der Beuys’schen Objekte.

Ach so, ja, Kant und Maggi, das bedarf noch der Erläuterung: Das Werk heißt „Ich kenne kein Weekend“, ist 1972 entstanden und setzt sich wirklich aus einem Reclam-Band der „Kritik der reinen Vernunft“ und einem braunen Fläschchen Maggi-Würze zusammen. Beide stehen, unter Glas, nebeneinander. Sie sind annähernd gleich hoch, nur ragt die Spitze des Plastik-Schraubverschlusses ein wenig über Kant hinaus. Nicht nur, dass Maggi seit jeher das selbe Signalgelb wie Philipp Reclam junior verwendet – Beuys hat diesen Farb-Zusammenhang noch einmal durch einen roten Stempel betont: „BEUYS: Ich kenne kein Weekend“ hat er aufs Büchlein gedruckt. Die industrielle Würzflüssigkeit wiederum ist ein Liebstöckel-Konzentrat, erklärt Kurator Achim Tischer. Und Liebstöckel spielt bei Heilpflanzenkennern mindestens seit Hildegard von Bingen eine prominente Rolle. Als Schleimlöser zum Beispiel.

Ein Buch und eine Maggi-Flasche nebeneinander stellen – das kann ich ja auch!, ist stets die auf schräge Weise empörte Spießer-Reaktion auf derartige Werke gewesen. Und das soll Kunst sein? Als würde es darum gehen, besser zu sein. Als wären gegenseitige Konkurrenz und Todfeindschaft Voraussetzung für Kunst. Diese tief ins Hirn eingeschnittene Zwangsvorstellung heilen kann natürlich nur jeder für sich selbst. Aber Beuys hilft dabei.

BENNO SCHIRRMEISTER

Joseph Beuys: Heilkräfte der Kunst, Eröffnung 2. 3., Krankenhaus-Museum, Bremen. Bis 31. 5. www.kulturensemble-bremen.de