Klar kommt der Spießervorwurf

Einmal ein großes Porträt der eigenen Lieben in Öl gefällig? Oder lieber ein zartes Wasserfarbenbild? Die Agentur „Berliner Sippschaften“ vermittelt Auftragskunst. KünstlerInnen wie Moritz R., Käthe Kruse oder das Kollektiv Susi Pop machen mit

Öb Ölbild oder abstraktes Morphing, hängt von Geschmack und Geldbeutel ab Malen nach Aufträgen? So haben die Künstler auch früher gearbeitet

VON JENNI ZYLKA

Auf dem großen, dunklen Foto scheint die Frau mitten im Wald auf einem Sessel zu sitzen, ein geflecktes Hündchen auf den Knien, hinter ihr stehen Mann und Kind, und alle schauen bedeutsam in die Kamera, sogar der Köter. Die Bäume um sie herum sind fast kahl, der Waldboden ist erdig und sparsam mit trockenem Gras bewachsen. Am Himmel, der durch ein Loch im Hintergrunddickicht zu sehen ist, dräuen graue Wolken. In einer staubigen Ecke des Schlosses der Addams Family würde sich das Porträt sicherlich hervorragend machen.

Schaurig-schön und protzig-romantisch ist das fotocollagenähnliche Familienbildnis, das die Künstlerin Tina Winkhaus von Anne Ellinghaus und ihren Lieben geschaffen hat. Und die begeisterte Kundin Ellinghaus, langjährige Managerin (unter anderem für Die Ärzte, International Pony und Kurt Krömer), kordelte die Idee sofort weiter: Sie gründete flugs eine Agentur für Porträtkunst, bei der man sich aus verschiedensten Stilen eineN KünstlerIn aussuchen kann, der oder die ein Bild der Familie, der Patchworkbeziehung, des vierköpfigen Rottweilerwelpenwurfes oder des winning teams in Kunst verwandelt.

„Klar kommt der Spießervorwurf“, sagt Ellinghaus, die den Showroom für ihre Auftragskunstagentur „Berliner Sippschaften“ mit beispielhaften Werken von zwölf KünstlerInnen, darunter Moritz R., das Kollektiv Susi Pop, Bernd Pohlenz und Undine Goldberg, am Samstag in Prenzlauer Berg eröffnete. „Manche haben aber einfach nur Lust, einen Moment im Leben festzuhalten. Ist das jetzt spießig oder nicht: ein schönes Bild haben zu wollen?“

Das Addams-Family-Bild thront über dem Kamin in dem Souterrain-Galerieraum, und das Flackern der Flammen steht ihm gut. Links daneben hängt eine Serie der Fotografin Ute Langkafel, die in ihrem Laden Mai.Foto.Supermarkt am Kottbusser Tor bis vor kurzem farbintensive und detailreiche Panoramabilder von Großstädten wie Istanbul und Berlin verkaufte. Für die „Berliner Sippschaften“ hat sie kleinformatige, extrem kontrastreiche Schwarz-Weiß-Bilder einer jungen Frau mit Kind mit strengen, geometrischen, neonfarbenen Offsets bedruckt – vor allem die Hängung der übereinander angeordneten Bilder gibt dem Werk eine filmische, an Op-Art erinnernde Note.

Bei der Eröffnung des Showrooms stehen außer den meisten KünstlerInnen viele neugierige potenzielle KundInnen zwischen den Porträts. Lieblingsfotos von FreundInnen und Familie haben die meisten schon mal aufgehängt oder Weihnachten eine nicht spülmaschinenfeste Kaffeetasse damit bedruckt. Doch sein Konterfei in ein abstraktes Bild morphen zu lassen, hat noch ganz andere Effekte. Käthe Kruse, Gründungsmitglied der Berliner Künstlergruppe Die tödliche Doris, bietet drei Versionen eines persönlichen Werks für die neueröffnete Ahnengalerie: Beim „Streifenporträt“ werden die Geburtsdaten des oder der Porträtierten nach streng schematischen Regeln, die Kruse aus ein paar 70er-Jahre-Handbüchern über Astrologie abspickte, in Farbstreifen umgewandelt – „in dem einen stand, Juli ist weiß, im anderen, Juli ist grün, das konnte und wollte ich nicht werten, also ist der Juli in meinem Farbsystem weißgrün gemischt“, sagt Kruse grinsend.

Die Anzahl der Streifen richtet sich nach der Anzahl der Porträtierten, doch ansonsten überholt Kruse die Idee von gefühliger, stimmungsabhängiger, schmeichelnder Kunst durch ihr reglementiertes Schema und lässt neue Allianzen entstehen. „Zufällig identifizieren sich wirklich eine Menge Leute mit der von mir zugeteilten Farbe“, sagt Kruse, „da denkt man dann: Na so ein komisches Beige, aber dann passt das doch gut!“

Für ihre „Textporträts“ malt Kruse auf extra glatt geschliffene Leinwand 26 Begriffe von A bis Z in Acryl; damit alle raufpassen, muss das quadratische Bild mindestens 70 mal 70 Zentimeter groß sein. „Ich nehme Begriffe, die in der Zeit gerade häufig benutzt werden, die mir aufgefallen sind, Worte wie ‚Mitleidsmüdigkeit‘ zum Beispiel.“ Die Namen der Porträtierten werden in die überdimensionalen Zeitungsausschnitten ähnelnden Bilder „eingeschrieben“ – „Eberhard Furchtlosigkeit Grazie Hermann“ lautet eine Zeile dieses eigenwilligen Gedichts. Außerdem fotografiert Kruse Menschen und druckt das Bild auf das sekretärinnenstrumpfähnlich goldglänzende Nylonmaterial Berolina, um eine leuchtende Farbintensität zu bekommen.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass Künstler das Malen nach Auftrag als Einschränkung begreifen“, sagt Kruse, „so haben die Künstler früher ja auch gearbeitet“. Auch Ellinghaus weist auf die lange Tradition hin, viele der schönsten Bilder der Welt sind im Auftrag entstanden. „Und Kunst ist immer noch brotlos“, sagt sie, „wenn man Künstlern ein regelmäßiges Standbein vermitteln kann, ist das doch für alle schön.“

Mit dem Standpunkt Prenzlauer Berg, Kollwitzkiez liegt der Showroom jedenfalls genau da, wo die feinsinnigen Menschen mit dem nötigen Kies wohnen. Ob die nun die „Vollsause“, wie Ellinghaus die großen Ölschinken nennt, oder lieber ein kleines, zartes Wasserfarbenbild wollen, hängt von Herstellung, Geschmack und Geldbeutel ab. „In dem Moment, in dem ich Menschen zeichne, kann ich ihr Inneres sehen“, sagt die künstlerische Autodidaktin Tomma Grau, deren neorealistische Acrylporträts in der linken Ecke der Galerie hängen.

Vielleicht hat so ein gemaltes Porträt also auch noch einen unerwarteten, therapeutischen Familienaufstellungseffekt. Es muss nur geklärt werden, wer das Bild bekommt, wenn man sich trennt.

Weitere Infos unter www.berliner-sippschaften.de