berliner szenen Mitfahrgelegenheiten

Die Brücke meckert

Treffpunkte für Mitfahrgelegenheiten gibt es ja praktisch überall. Auf dem Album „Mach et einfach“ singen die Jungs von Icke und Er: „Wir steigen in Spandau in die Karre, oder wat, und wir kommen immer ans Ziel.“ Das nahm ich mir zu Herzen und stieg in die U7, um nach Spandau zu fahren.

Mir gegenüber saß ein junger Russe mit ausgebeulten Jogginghosen nebst fünfjährigem Sohn mit Glitzerstein im rechten Ohrläppchen. Der Sohn schleckt ein Eis und so sitzen sie friedlich nebeneinander, in einvernehmlichem Schweigen.

Bis ein älterer Mann mit Kapitänsmütze vom Sitz gegenüber sein Wort an den Jungen richtet: „Det is schön kalt, det Eis, wat?“ Der eingeschüchterte Sohn guckt nur und schleckt weiter. Er habe gestern kalte Milch getrunken, sagt der Mann und reibt sich den Bauch. Da keine Reaktion von Seiten der Russen kommt, schiebt er hinterher – in deutlich lauterem Tonfall – „einen Liter!“. Nun hat der Kapitänsmützenmann die volle Aufmerksamkeit der anderen U-Bahn-Reisenden.

„Nächste Haltestelle Möckernbrücke. Bitte beachten Sie die Lücke zwischen Zug und Bahnsteigkante.“ Diese Durchsage ist wahrlich eine wunderbare Vorlage für den Mann, einmal mehr seine Meinung kundzutun, natürlich in Richtung Sohn: „Jaha, die Brücke meckert. Die meckert immer.“ Ui, ein Wortspiel, denke ich bei mir und freue mich. Der Vater legt seinem Sohn beruhigend eine Hand aufs Knie.

Einige Sekunden hört man nur das Rascheln der Zeitungen und einen zu lauten MP3-Player, da steht der Alte auf, geht zur Tür, schreit „Lesben an die Front!“ und entschwindet Richtung Ausgang. Der Sohn schaut seinen Vater an und fragt: „Papa, was sind Lesben?“

FRANZISKA SEYBOLDT