Nur unter anderem Ethnologe

Jahrzehnte lang fotografierte Jürgen Schadeberg in Südafrika: Die Auswirkungen der Apartheid zeigte er in Schwarz-Weiß, seit ihrem Ende suchte er das Land in Farbe festzuhalten. Jetzt werden seine Arbeiten im höchsten Norden ausgestellt: auf Sylt

Joyce Nzama und ihr dreijähriges Baby sind umgeben von Eimern, Schüsseln und Töpfen. Immer wieder verlässt Frau Nzama ihre Unterkunft in einem aufgegebenen Hochhaus in der Innenstadt von Johannisburg und holt für die Nachbarn links und rechts von irgendwo her Wasser – für ein paar Cent oder etwas zum Essen. Trotz der offenkundigen Armut schaut sie keinesfalls verlegen in die Kamera.

Fotografiert hat das Bild Jürgen Schadeberg und derzeit hängt es in der aktuellen Ausstellung des „Kunst:Raum Sylt Quelle“ – wo nebenan tatsächlich Mineralwasser aus großer Tiefe emporgepumpt und auf Flaschen gezogen wird. Dass mit „Egoli – Tales from the City of Gold“ eine formidable Ausstellung des wohl wichtigsten Fotografen Südafrikas hier im äußersten Norden präsentiert wird und nicht in Hamburg, Hannover oder Bremen, ist kein Zufall: Seit längerem bereits gibt sich der Kunst:Raum Mühe, mittels Einladungen, Stipendien und wechselseitigen Ausstellungen den Austausch zwischen deutschen und südafrikanischen Künstlern zu fördern. In Zukunft werden auch die Sylter Inselschreiber und -schreiberinnen, die die Quelle jedes Jahr ernennt, für ein paar Wochen nach Südafrika gehen können. Der diesjährige Inselschreiber Franzobel, der im August seinen ersten Monat auf der Insel verbringen wird, plant ein Projekt in Namibia.

Jürgen Schadeberg wird 1931 in Berlin geboren und arbeitet nach dem Krieg in Hamburg als Fotograf für die Deutsche Presseagentur. 1949 geht er nach Johannesburg, wo er bald für die Zeitschrift Drum arbeitet, das einzige Magazin, das sich an schwarze Leser richtet. Daneben bildet Schadeberg auch junge Fotografen aus. Aus dieser Zeit gibt es auf Sylt nun einige zentrale Fotos zu sehen: der junge Nelson Mandela auf dem Weg zu einem seiner vielen Prozesse, Momentaufnahmen aus verrauchten Jazzclubs oder illegalen Boxhallen. Oder jene Gruppe adrett gekleideter Damen, die schweigend auf der Straße gegen die Apartheid demonstrieren. Schadeberg zögert nicht, die Auswirkungen der Rassentrennung in klassischem Schwarz-Weiß abzulichten, bis ihn die Geheimpolizei immer öfter vorlädt. „Ich bin nicht direkt aus Südafrika ausgewiesen worden“, erzählt er im Rückblick, „aber ich wusste, dass meine Ausweisung unmittelbar bevorstand.“ 1964 verlässt er das Land, muss sein gesamtes Archiv mit Tausenden von Negativen zurücklassen.

Als er nach Aufenthalten in London, New York, Spanien und Deutschland – in Hamburg etwa unterrichtet er kurz an der Hochschule für bildende Kunst – 1985 nach Südafrika zurückkehrt, findet er wenigstens Teile seiner Bilder wieder: Sie lagerten in einer zerfallenen Farm, die Drum gehörte. „Die Termiten hatten zwar alle Umschläge zerfressen“, sagt Schadeberg, „aber sie können ja die Negative nicht zernagen, von daher war noch einiges da.“

Mit dabei ist seine zweite Frau Claudia, Cutterin bei der BBC und die beiden werden in den folgenden zehn Jahren eine Reihe von Dokumentarfilmen über das Leben in Südafrika drehen, bis Schadeberg sich allmählich wieder auf die Fotografie verlegt. 2004 entsteht seine viel beachtete Reihe „Voices from the Land“ über die unterschiedlichen Lebenswelten der schwarzen Landarbeiter und der weißen Farmer – einerseits von der Ethnologie inspiriert und zugleich ein nüchterner Spiegel der sozialen Wirklichkeiten nach dem offiziellen Ende der Apartheid.

Diese Serie hat er nun gewissermaßen noch einmal wiederholt – doch sie zugleich im Inneren der Metropole Johannesburg verortet und diesmal in Farbe gehalten. Es sind Einblicke in die Wohnunterkünfte von Arbeitslosen wie in die Hotellobbys der Besserverdienenden. Hier sitzt eine populäre Jazzsängerin in einem Biedermeiersessel vor dem aufgeklappten Flügel, dort zeigt ein Gelegenheitsjobber sein mit Spanplatten abgeteiltes Zimmer vor, irgendwo in einem Hochhaus: „Manche dieser Häuser haben 70 Stockwerke, alle Fenster sind kaputt, die Türen zerschlagen; es gibt keinen Strom, es gibt kein Wasser.“ Die Polizei, sagt Schadeberg, traue sich nicht in diese No-Go-Areas: „Die sagen: ‚Die Leute da haben Waffen.‘ Das stimmt vielleicht manchmal, aber zum großen Teil sind es Menschen, die sind arm, weiter nichts.“

Gut möglich, dass Schadebergs Bilder bald dokumentarischen Wert erhalten: Die Fußballweltmeisterschaft naht und die Stadtverwaltung setzt derzeit alles daran, genau diese Hochhäuser abzureißen – Häuser, in denen Menschen wie Joyce Nzama wohnen, so gut es eben geht. FRANK KEIL

bis 14. .9., Kunst:Raum Sylt Quelle, Rantum