berliner szenen Die Nachbarschaft

Pankower Besen

„Sie stehen hier schon zwanzig Minuten!“ Frau Teuber aus dem zweiten Stock fegt in der offenen Garage irgendwelchen nicht vorhandenen Dreck weg. Wir lehnen verschwitzt am Umzugsauto in der Einfahrt. Max zieht aus, Tom und ich müssen helfen. Wie immer gab es keinen Parkplatz. „Sie hätten ja wenigstens einen Zettel reinlegen können!“ Wir gucken verständnislos. Max nickt zu Tom: „Aber er war doch da.“

Ich wohne gern in Pankow. Es ist grün, ruhig und meine Wohnung ist toll. Der Bäcker backt seine Brötchen selber und abends um zehn ist Licht aus. In Pankow ist alles noch ein bisschen wie früher. Aber früher ist eben nicht gleich besser. Frau Teuber vertreibt sich ihre Rentnerzeit als Nachbarschaftsspitzel und brüskiert sich über die jungen Leute im Haus: „Man weiß ja gar nicht, wo die alle hingehören!“ Es ärgert sie über die Maßen, dass sie keinen Überblick mehr hat. Bestimmt hält sie meine Mitbewohner für wechselnde Liebhaber.

„Wollen Sie nun rausfahren?“, fragt Tom wie nicht zum ersten Mal. Frau Teuber hält inne und stützt sich auf ihren Besen. Die roten Plastikborsten spreizen sich gefährlich. „Nein“, sagt sie, als wäre dies die dümmste aller Fragen, „aber wenn ich hätte rausfahren wollen…“ Sie macht eine bedeutungsvolle Pause. „…hätte ich alt ausgesehen.“ Tom nickt, ich zerkaue meine Unterlippe. „Den Nachbarn von rechts oben hab ich letztens abschleppen lassen“, erzählt sie: „Dreihundert Euro!“ Ein triumphierendes Lächeln huscht über ihr Gesicht. Ich bin mir sicher, Frau Teuber hat heute von ihrem Fensterposten aus unser Auto gesehen. „Helmut, schnell, den Besen, da ist wieder einer“, hat sie gerufen und sich unten in Gefechtsposition begeben. Pankow, denke ich, und meine Unterlippe blutet. LEA STREISAND