Das Dorf des Aufrechten

Die schleswig-holsteinische Gemeinde Molfsee hat Schlagzeilen gemacht, weil sich die örtliche CDU dem Abfotografiertwerden durch Google widersetzt. Ein Besuch im Zentrum des Widerstands, in einem Haus am See

VON KRISTIANA LUDWIG

Das Zentrum von Molfsee ist die L 318. Eigentlich heißt sie Hamburger Chaussee und verbindet den kleinen Park, das Hotel, den Edeka und den Aldi. Dann kommen Felder. Molfsee ist schon schön. An den verwinkelten Wegen, die von der Hamburger Chaussee abzweigen, gibt es nur Einfamilienhäuser. Die Gärten sind grün, voller Sträucher und hoher Apfelbäume. Kleine Pfade führen zum See. Es gibt ein Freilichtmuseum.

Google und seine Kartenerweiterung „Street View“, bei der von einem Autodach geschossene Fotos Panorama-Blicke auf deutsche Straßen liefern sollen, sind in Molfsee unerwünscht. „Da muss man einfach dagegenhalten“, sagt Reinhold Harwart.

In seinem Haus am See ist es still, er wohnt an einem Sandweg, hinter hohen Bäumen, abseits der Dorfstraße. Der örtliche CDU-Fraktionschef lehnt in seinem Sessel, auf blauem Schaf-Fell, den kleinen Dackel auf dem Schoß und spricht über die Gesellschaft. „Wir können das amerikanische Prinzip nicht akzeptieren“, sagt er. „Viel Mist“ sei von dort gekommen. Überhaupt, wenn er in die Gesichter der Menschen schaue, den „miesen“ Ausdruck sehe: „Eine Gesellschaft, ein Staat, der so etwas befürwortet, kann nicht lange existieren.“

Für die Menschen seien die Google-Straßenfotos eine gefühlte Verletzung der Privatsphäre, sagt Harwart. Gerade ältere Menschen seien weniger interessiert an Dingen wie Datenschutz, „da muss man sich für sie stark machen“. 35 Jahre arbeitete er bei der Datenschutzzentrale Schleswig-Holstein, schrieb Computerprogramme und kümmerte sich um Themen wie das Steuergeheimnis. Ein „Ewig-Gestriger“ sei er nicht, doch als er aus der Zeitung von „Google Street View“ erfuhr, ging ihm „das Messer in der Tasche auf“. „Es ist ein Unterschied, ob sie in den Großstädten die Wohnhäuser oder hier die Einfamilienhäuser fotografieren.“ Googles Kamera schaue aus vier Metern Höhe über die Hecken: „Wenn hier jemand ausspioniert und es nicht der Briefträger ist: Das sehen die Nachbarn.“ Mit der Internetvariante könne sich der Räuber bequem von zu Hause vorbereiten.

Der Mann mit den grauen, kurzen Haaren hatte viele Fernsehinterviews in den letzten Tagen. Es gab einigen Rummel um seine Haltung gegen Google, die bisher nur seine persönliche Meinung ist. Aber im Zusammenschluss mit allen Fraktionen im Gemeindeamt Molfsee wolle er bald eine „Resolution“ festlegen, sagt er. Und ergänzt mit lauter, fester Stimme, „dass wir in Molfsee uns das nicht bieten lassen“.

„Wir sind schon gläserne Bürger“, sagt ein älterer Herr auf dem Parkplatz des Supermarktes. Er trägt eine Kappe, Alufolie und eine Packung Kekse hat er unter den Arm geklemmt. Im Fernsehen habe er die Berichte über sein Dorf gesehen, dem Internet stehe er skeptisch gegenüber. Freunde von ihm hätten viel Geld beim Homebanking verloren, sagt er: „Solange ich noch laufen kann, gehe ich so zur Sparkasse.“

„Was wir im Fernsehen gesehen haben, finde ich gar nicht so schlimm“, sagt die Frau im gelben Pulli hinter der Theke der Bäckerei. „Da kann man ja nicht direkt in die Häuser gucken.“ Gesprächsthema in ihrem Laden sei Google noch nicht gewesen, obwohl ihre Kunden aus der Wohnsiedlung kämen. „Da kennt man sich.“

Die Stimmung in Molfsee ist unaufgeregt. Es gibt keine Plakate, keinen Hinweis auf den Protest, der die Dorfgemeinschaft ins Licht der Medien gerückt hat. Es gibt nur einen Mann, der zwischen Holzvitrine und Marmortisch sitzt und in den letzten Tagen bereits Interviews absagte, weil es ihm zu viel wurde.

Er sei „ein Ostpreuße, wie er im Buche steht“, sagt Harwart. „Stur. Und deswegen mache ich das hier auch.“ Als er sieben Jahre alt war, musste er mit seiner Familie fliehen. Drei Jahre lang war er im Flüchtlingslager Oksböl in Dänemark einquartiert. „Menschen machen Politik aus Idealismus oder für ihr Ego“, sagt Harwart. Er mache das, weil er „nach den Wirren der Jugendjahre“ hier einen gut bezahlten Job bekommen habe. „Ich möchte ein bisschen zurückgeben.“

Manchmal grinst Hartwart, aber dann fällt sein Grinsen wieder in sich zusammen. Das Angebot des „schnoddrigen“ Google-Sprechers, unliebsame Fotos auf Anfrage zurückzuziehen, sei der falsche Ansatz. „Die müssen mich fragen, ob sie mein Haus fotografieren dürfen.“

Er sei Katholik, sagt Harwart, und mit den Katholiken sei es ja so: „Jeder Katholik ist ein bisschen links, auch wenn er nie links wählen würde.“