In großer Nähe so fern

Staatsfußballer gegen Jeansjackenträger: Der Fotoband „Ultras Kutten Hooligans“ porträtiert die Ostberliner Klubs BFC Dynamo und 1. FC Union. Geschichten über Fans, die es lieben, sich zu hassen

VON THOMAS WINKLER

Kürzlich in einer Charlottenburger Kneipe. Eine Runde Sportjournalisten erregt sich über Wiener Schnitzel und Weizenbier an der Frage, warum Hertha BSC so ein schlechter Fußballverein ist, der außer kleinen Jungs aus dem Speckgürtel niemanden so recht zu interessieren vermag. Warum fehlt die Leidenschaft, wenn es um Hertha geht? Liegt’s am Stadion? An der Tradition? An den doofen Hertha-Fröschen? Oder doch an Dieter Hoeneß? Die Runde wird immer lauter, kommt aber auch zu keinem schlüssigen Ergebnis. Fazit: Hertha ist einfach öde.

Eins immerhin scheint sicher. Am Berliner selbst liegt’s nicht. Der ist durchaus in der Lage, Leidenschaft für den Fußball zu entwickeln. Das beweist nicht zuletzt die Geschichte der beiden prägenden Ostberliner Klubs BFC Dynamo Berlin und 1. FC Union Berlin, die nun dokumentiert wird in einem Fotobuch und einer dazugehörigen Ausstellung. „Ultras Kutten Hooligans – Fußballfans im Osten“ heißt das Werk von Fotograf Harald Hauswald und Autor Frank Willmann. Es schildert das Verhältnis der beiden Ostberliner Klubs, deren miteinander verschlungene Geschichte den DDR-Fußball prägte.

Beide Klubs wurden erst im Januar 1966 offiziell gegründet. Aber auch wenn die Traditionen, zumindest die der Vorläufervereine von Union, bis in die Zwanzigerjahre zurückreichen: Schon aufgrund der fehlenden Langlebigkeit wird sich niemals eine so tief verwurzelte, traditionsreiche Feindschaft konstruieren lassen, wie es sie zum Beispiel in Glasgow zwischen dem katholischen Celtic FC und den protestantischen Rangers gibt. Aber auch die Geschichte von Union und BFC Dynamo spiegelt wie ein Vexierglas die gesellschaftspolitischen Verhältnisse wieder.

Vor allem die wenig mehr als zwei Jahrzehnte, die sich BFC und Union als Antipoden des DDR-Fußballs gegenüberstanden, boten mehr Zündstoff als ungleich länger zurückreichende Rivalitäten wie Bayern–1860 in München oder HSV–St. Pauli in Hamburg, wo doch kaum mehr als ein diffuses Gefühl von Repräsentation und Gruppenzugehörigkeit bedient wird. Nein, Unioner und BFCler prügelten sich schon in den Achtzigern leidenschaftlich und regelmäßig. Die tätlichen Auseinandersetzungen konnte selbst die sonst so straff organisierte Volkspolizei nicht verhindern.

Die Wurzel der Feindschaft: Der BFC war der Staats-Club, protegiert vom System. Gute Spieler wurden ganz offiziell immer wieder zum BFC „delegiert“. Dass zugunsten des vom Ehrenvorsitzenden Erich Mielke und seiner Staatssicherheit gestützten Clubs manche Meisterschaft verschoben wurde, ist immer noch gerne kolportiertes Gerücht. Von 1979 an gewann der BFC zehnmal in Folge die DDR-Meisterschaft, während Union sich zur fleißigsten Fahrstuhlmannschaft der Oberliga entwickelte. Auf der anderen Seite stilisierten sich die Anhänger des 1. FC Union, der immerhin vom hochoffiziellen Gewerkschaftsbund FDGB gefördert wurde, zu Dissidenten, zu Underdogs und Benachteiligten eines indoktrinären Systems.

Die Folge war, wie im Vorwort des Buches beschrieben: „Die Fans hassten einander, die Spieler beider Teams hingegen kamen privat gut miteinander klar.“

Diesem Verhältnis spürt das Buch nach, auch wenn die bildliche Dokumentation leider erst im Jahr vor dem Mauerfall beginnt. Seit 1988 fotografierte Hauswald, der sich mit den Fotobänden „Ost-Berlin“ und „Alexanderplatz“ einen Namen gemacht hat, bei den Spielen beider Klubs und fing in Schwarzweiß die Atmosphäre ein. Mit Bildern von halbnackten Fans, Ausflügen nach exotischen Orten wie Bischofswerda oder Zwickau, mit Bildern von Prügeleien, von aufmarschierenden Polizisten, von Schlagstockeinsatz und blutenden Fans, vor allem aber immer wieder mit Bildern, die wohltuend unspektakulär den Alltag mit Fußball zeigen. Die Unterschiede zwischen den beiden Klubs sind im Detail versteckt: Bei den BFC-Fans dominiert die Glatze, Union-Fans posieren gern in der Schnee-Jeansjacke. Wenn Fahnen wehen, dann ist es bei den BFC-Anhängern die der DDR, bei denen von Union eine mit Berliner Bären.

Doch die Sympathien sind nicht so klar verteilt, wie man meinen würde. Auch in den Texten wird nicht nur die einfache Differenz aufgemacht: Hier das „allseits verhasste Bayern München der Zone“, das ideell längst okkupiert ist von den Neonazis, dort der Arbeiterverein aus Köpenick, der in der Alten Försterei tapfer sein „Eisern Union“ hochhält, früher gegen die DDR-Unterdrückung, heute gegen die im Fußball grassierende Kommerzialisierung und DFB-Machenschaften. Doch auch bei Union sind die Anhänger längst nicht alle politisch korrekte Parteigänger, sondern mit fußballtypischem Proletentum gesegnet, während sich die Leitung des BFC seit Jahren bemüht, gegen das Image des Klubs vorzugehen – so trainiert seit 2007 mit Volkan Uluc ein türkischstämmiger Berliner den Oberligisten.

Was aber „Ultras Kutten Hooligans“ vor allem deutlich macht, in den Fotos, in den Texten und Selbstzeugnissen von Fans: Fußball kann selbst in Berlin eine leidenschaftliche Affäre sein. Man muss ja nicht ins Olympiastadion gehen und blutleeren Herthanern beim Kicken zusehen.

Harald Hauswald, Frank Willmann: „Ultras Kutten Hooligans – Fußballfans im Osten“. Jaron Verlag, 120 Seiten, 87 Fotos, 14,90 €. Ausstellung: „Harald Hauswald – Fotografien“, Eröffnung am 17. 10., 20 Uhr, bis 21. 11., Di.–Sa. 15–20 Uhr, Galerie December, Greifswalder Str. 217