Die große Versunkenheit

Musik für regnerische Tage, zwischen Chanson, Folk und Rock: Die Sängerin Emilíana Torrini gastierte am Dienstagabend im Kesselhaus der Kulturbrauerei

Emilíana Torrini hat schon einiges hinter sich. Sie hat Freunde mit Alkoholproblemen, sie hat ihren damaligen Geliebten wegen eines Verkehrsunfalls verloren. Sie kommt aus Island und hat einen italienischen Vater. Sie hat den für Isländerinnen typischen Akzent und muss sich deswegen immer wieder mit Björk vergleichen lassen, obwohl sie musikalisch wenig mit ihr gemein hat. Und an ihrer Seite hat sie einen Fernsehkoch, was bestimmt auch kein leichtes Los ist. Emilíana Torrini, die sozusagen von Island nach Finnland gezogen ist, von einer Scheiße in eine etwas weniger große Scheiße, nur dass ihr Finnland in Wahrheit Brighton heißt und in Südengland liegt, könnte also alles in allem ein mitgenommenes Wrack sein. Ist sie aber nicht. Sie ist eine zur Heiterkeit neigende, grundsympathische Frau.

Am Dienstagabend gastierte die Sängerin mit Band im Kesselhaus der Kulturbrauerei. Sie kam im roten Kleid, mit zusammengesteckten Haaren und goldenen Schuhen und stellte ihr neues, inzwischen viertes Album „Me and Armini“ vor. Emilíana Torrini wirkte wie ein erwachsenes Mädchen, jung, heiter, unbeschwert, voller Anekdoten und Scherze. Nur den Ausbruch traute sie sich nicht zu: Tanzeinlagen wurden allerhöchstens angedeutet. Lieber klebte sie das Konzert über an ihrem Mikrofonständer, das sie mit Glöckchen und irgendwelchem Talismanschnickschnack behängt hatte.

Das Kesselhaus war voll. Junge, vornehmlich gut gekleidete Menschen waren gekommen, um den heimeligen Folkpop der Isländerin aus der Nähe zu erfahren. Das Geschlechterverhältnis war ausgeglichen. Für einen kurzen Moment, vielleicht die ersten beiden ruhigen Stücke lang, wirkte das Szenario leicht merkwürdig: Eine große Menschenmenge war zu einem Konzert gekommen, das nicht unbedingt Ausbruch, Ausschweifung, Ekstase verhieß. Für einen Moment wirkte Emilíana Torrini samt Band fehlplatziert: Man hätte sich einen kleineren Raum mit Bestuhlung und weniger Menschen als ideal vorgestellt. So schien es, als ob sich Band und Sängerin von Raum und Menge einschüchtern ließen. Die Musik konnte keinen rechten Druck entwickeln. Torrini flüchtete sich ins Reden.

Aber Kompensation war gar nicht nötig. Das ausverkaufte Kesselhaus gab sich bereitwillig einer introvertierten Versunkenheit hin. „Fireheads“ oder „Birds“, die sehr ruhigen Stücke des neuen Albums, funktionierten, und nach und nach gab die entspannte und Torrini den Rücken stärkende Band den Ton an. Männer mit Erfahrung und Charme, durchweg älter als die Sängerin und bewaffnet mit Besen, Harmonium und allerhand Akustikgitarren. Bis dann im Titelsong „Me And Armini“, mit „Ha Ha“ und vor allem dem Hit „Jungle Drum“ die schwungvollen Momente von Torrinis Musik zum Tragen kamen und dem stillstehenden Auditorium einige versunkene Schlenker und Hüftschwünge entlockte.

Emilíana Torrini macht Musik für Regentage (von denen es in Brighton reichlich hat), im Guten wie im Schlechten: Entweder gibt sie sich einer leichten, liebevollen Traurigkeit hin („Bleeder“), die sich zu einem gewaltigen Schauer steigern kann („Gun“, das beste Stück am Abend), oder eine Trotzreaktion setzt ein und gute Laune beherrscht das Szenario. Und dann können die Sitzmöbel verrückt und kann mit dem Geliebten oder dem nächstbesten Armleuchter durch die Wohnung getanzt werden. Aber nur, solange niemand guckt. Es sind Lieder zwischen Chanson und Rock, zwischen angegroovter Popmusik mit Cluberfahrung und der Breite der internationalen Folkmusik.

Zuletzt ließ auch das Reden nach. Torrini klopfte mit dem rechten Fuß den Rhythmus aufs Bühnenbrett. Es blieb kontrolliert, aber von phasenhafter, sanfter Schönheit. RENÉ HAMANN