Traditionelle Rettungsringe: Die Retter der Ringe

In Rellingen bei Hamburg ist die Produktion von Rettungsringen outgesourct worden - die Arbeit machen jetzt Behinderte. Für die seien die Rettungsringe von "hoher Symbolik" , meint der Werkstattleiter

Fast fertig. Zum Schluss wird der Rettungsring klassisch rotweiß bemalt Bild: DPA

Weißer Wasserdampf schießt in den Raum, in der Rettungsringmanufaktur sieht man kaum die Hand vor Augen. Nach einer guten Minute verzieht sich die dicke Suppe wieder. Aus den Ritzen der Dampfpresse zischt weniger Dampf, der schließlich ganz aufhört. Dafür knackt es leise in der Maschine. "Das ist das Styropor, das sich beim Heizen ausdehnt und danach ausgekühlt wird", erklärt Jörg Paulick, der vor dem Schaltpult steht.

Paulick, 43, ist groß gewachsen und lacht gerne. Seit 27 Jahren arbeitet er in der Rettungsringproduktion in Rellingen bei Hamburg. Zuerst als Anstreicher für Paul Merten Seepilz Rettungsmittel, den ehemaligen deutschen Marktführer, der Ende der 1990er Jahre von der Firma Rapp Service Maritim übernommen wurde. Die wiederum wurde 2007 von einem englischen Traditionsunternehmen gekauft, der Cosalt-Gruppe, die die Produktion Anfang Oktober an das Pinneberger Lebenshilfewerk für Behinderte weitergab.

Das Geschäft mit den Rettungsringen sei zu klein geworden, sagt Ralf-Thomas Rapp, ehemals Chef der Rapp Service Maritim und jetzt Geschäftsführer der deutschen Cosalt-Niederlassung. "Kaufmännisch hätten wir das Ende der Rettungsringe verschmerzt", sagt Rapp. Er trägt einen dunkelblauen Einreiher, vor der Tür steht sein schwarzes Mercedes-Sportcoupé. "Aber wir wollten wegen der langen Tradition nicht darauf verzichten."

Die Rettungsringe in Rellingen werden bei 160 bis 180 Grad Celsius und zwölf Bar "gebacken", wie man dort sagt. Nach zehn Minuten wird die Presse wieder hoch gefahren. Was zuvor ein schlabberiger, mit weißen Kügelchen gefüllter Stoffschlauch war, kommt als beigefarbener, steifer, handwarmer Ring heraus. Seit Anfang der 1950er Jahre werden so Rettungsringe für Schiffe hergestellt. Auf dem freien Markt wären die Lebensretter "made in Germany" längst untergegangen. Viel Handarbeit, uralte Maschinen, nicht zeitgemäße Materialien machen die norddeutschen Ringe etwa doppelt so teuer wie die Hartplastik-Konkurrenten aus Asien, die zwischen 20 und 50 Euro kosten.

Die Reeder rüsten ihre Seeschiffe lieber mit günstiger Chinaware aus, doch als Liebhaber- und Nischenprodukt mit konstanter 10.000er Jahresproduktion verkaufen sich die Rellinger Old-School-Ringe seit über einem Jahrzehnt ganz ordentlich. An Freizeitsegler, Eigner von Museumsschiffen, Hafenkneipenwirte sowie als Deko- und Werbeartikel. Mit dem Gewinnargument auf der Zunge und der Rettungsringgeschichte im Herzen überzeugte Rapp seine englischen Chefs, die eigene Produktionsstätten grundsätzlich ablehnen.

Michael Behrens, Werkstattleiter der Lebenshilfe, trägt Jeans und Jackett und ist eher ein Heimwerkertyp. Behrens war Rapps Wunschpartner, denn die Lebenshilfe nimmt auch Aufträge an, bei denen andere Handwerksbetriebe wegen zu geringer Stückzahlen abwinken. Der Werkstattleiter, dessen Auftragsbücher gut gefüllt sind, achtet darauf, dass die 400 Behinderten die Arbeit nicht nur geistig und körperlich bewältigen, sondern sich damit auch identifizieren können. Denn ohne diese Motivation liefe bei der Lebenshilfe gar nichts, meint Michael Behrens. Die Rettungsringe seien "eine Supersache": "Sie sind begreifbar, haben eine hohe Symbolik und machen stolz." Außerdem sei alles Handarbeit, das sei "ideal für Behinderte".

In der dampfenden Ringfabrik ist von dieser Euphorie wenig zu spüren. "Die Maschine habe ich kapiert", sagt Jörg Schneider, seit wenigen Wochen Ringbäcker. Der 45-jährige geistig Behinderte trägt eine starke Brille und zwei Ohrringe, nach dem Aushärten holt er einen Ring aus der Presse und begutachtet ihn. Paulick kommt dazu und deutet auf eine Delle im Ring. "Die Maschine arbeitet nach dem Transport noch nicht einwandfrei", meint Paulick. Er ist der einzige, der aus der "Seepilz"-Zeit übernommen wurde. Nun lernt er zwei Behinderte an. Der andere heißt Eugen Notschewski, er ist 21 und sorgt für Nachschub. Er füllt mit einem Druckluftschlauch kleine Styropor-Kügelchen in einen Kunstfaserschlauch. "Das macht Spaß und ist eine gute Abwechslung", nuschelt Notschewski.

In den kommenden Monaten soll Jörg Paulick weiteren Behinderten die nötigen Handgriffe beibringen. In den ersten beiden Wochen schaffte das Team 50 Ringe. Wenn die drei Dampfpressen erst reibungslos laufen, werden die neuen Herren der Rettungsringe jeweils bis zu 100 Stück wöchentlich produzieren. Auf der Rettungsring-Landkarte wird Rellingen erhalten bleiben.

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