Die britischen Buddenbrooks

„Wiedersehen mit Brideshead“ von Julian Jarrold steht in der guten Tradition von britischen Literaturverfilmungen

„Brideshead Revisited“ ist einer der renommiertesten Romane der britischen Literatur – so etwas wie ein englisches „Die Buddenbrooks“. Und dies nicht nur, weil „Verfall einer Familie“, so der Untertitel, den Thomas Mann seinem Debütroman gegeben hat, auch ideal zu Evelyn Waughs Hauptwerk passen würde. Durch dieses Werk wurde der Mythos von Oxford erst wirklich populär und gefestigt, und sein Einfluss ist bis zu den Harry Potter Büchern von JK Rowlings spürbar. So etwa in der lieblosen Athmosphäre des Elternhauses von Charles Ryder, der sich in den Ferien zurück zu den Freunden in Oxford (Rowlings „Hogswarts“) wünscht, und von diesen dann auch bald aus den Fängen seines boshaften Vaters befreit wird.

Dieser Charles Ryder ist ein sensibler Student aus armen Verhältnissen im England der 30er Jahre, der schnell Freundschaft mit Sebastian Flyte schließt, dem dekadenten Spross der mächtigen Familie Marchmain, auf dessen Landsitz Brideshead Sebastian bald eingeladen wird. Bald verliebt er sich eher in die Familie als in ihre einzelnen Mitglieder, und so ist es nur konsequent, wenn der junge Mann, der seine eigene Sexualität erst kennen lernen muss, schnell von seiner Infatuation für Sebastian zu dessen Schwester Julia umschwingt. Doch Sebastian ist das Sorgenkind der Familie: ein zierlicher, hochsensibler Mann, der nie gelernt hat, wann es an der Zeit ist, sich von seinem Teddybären zu trennen, und im Laufe des Romans immer mehr dem Alkohol verfällt. Da die Familie Marchmain streng katholisch ist, tragen sowohl Sebastian wie auch seine Schwester Julia schwer an der Last ihrer Religion, die von ihrer Mutter Lady Marchmain mit strenger Hand durchgesetzt wird. An diesen Widersprüchen zwischen Glauben und Modernität zerbricht schließlich die Familie.

Es gab in den 80er Jahren eine höchstgelobte Fernsehproduktion von „Brideshead Revisited“, die mit ihren 11 Folgen den Standard für werktreue TV-Adaptionen setzte. Es ist also ein beachtliches Wagnis, wenn Julian Jarrold diese ausufernde Familiengeschichte nun auf Spielfilmlänge eindampft. So fallen zwangsläufig ganze Erzählstränge weg, und dennoch wirkt der Film nie wie eine „Readers Digest“-Version, in der die besten Szenen und Dialogstellen zusammenmontiert wurden, was nur die Kenner der Vorlage enttäuscht und die anderen Zuschauer ratlos zurücklässt.

„Wiedersehen mit Brideshead“ wirkt dagegen als ein in sich geschlossenes und stimmiges Werk. So ist es etwa erstaunlich, wie viel in den Kernszenen, die im Buch von brillanten Dialogen überquellen, lediglich durch Blicke erzählt wird. Und da Jarrod in deren Mittelpunkt die Liebesgeschichten von Charles Ryder mit Sebastian und Julia gesetzt hat, hat der Film ein dramaturgisch starkes Zentrum, das es möglich macht, viele der Nebenstränge anzureißen, ohne dass er dadurch seinen Erzählfluss verlieren würde. So ist der Mut des Regisseurs, vieles wegzulassen eine der der Qualitäten des Films – ebenso wie die grandiose Ausstattung, die nie so wirkt, als würde sie über Gebühr ausgestellt.

Zu den traditionellen Reichtümern der Briten zählt ja auch eine große Riege von grandiosen Schauspielern, die eine Produktion wie „Wiedersehen mit Brideshead“ durch eine perfekte Besetzung lebendig werden lassen, wobei man wohl ohne viel Mühe eine „B-Mannschaft“ zusammenstellen könnte, die diese Ensembleleistung mit einer ähnlichen Brillanz und Authentizität abliefern würde. So ist dies in mehr als nur einem Sinne ein gelungenes “Wiedersehen mit Brideshead“. WILFRIED HIPPEN