berliner szenen Ausgehen in Neukölln

Alles ändert sich

Nachdem ich vor einer Dekade in Lichterfelde Ost fast mein Abitur gemacht hätte, wohne ich seit ein paar Jahren in Neukölln, früher Rixdorf. Meine Wohnung liegt im zweiten Hinterhof im Schatten des Sozialamts. Jeden Morgen, wenn ich zum Bäcker gehe – Butterkringel oder 13-Cent-Schrippen – sehe ich die Schlange vor dem Notschalter des Bürgeramts. Der Araber, der Türke, der Nazi, der Trinker, der Langzeitstudent in einer solidarischen Linie zweimal um den Block.

Nein, das war früher. Seit ein paar Monaten erkenne ich meinen Kiez nicht wieder. Wo ist der Schönheitssalon für türkische Transvestiten? Wo der Kameruner Freundschaftsverein? Der Club afghanischer Schachspieler? Der Thaimassagekaraokepuff? Die Bar der verlorenen ukrainischen Trinker, die ewig eine ansprechende Kellnerin suchte? Weg. Aus. Vorbei.

In ihren ehemaligen Läden drängeln sich Franken, Briten und Holländer. Bieten Augustiner Helles feil und dealen mit Emissionszertifikaten auf Zigarettenrauch. Galeristen. Neue Gelegenheiten. Gurus. Alles ändert sich (Pessoa).

Scheiß Quartiersmanagement dachte ich vor ein paar Tagen, als ich meinen soliden Haustürschlüssel vergeblich in unser übertags frisch saniertes Türschloss steckte. Irgendwann kam ein Nachbar vorbei. Wenigsten ein vertrautes Gesicht. Ey Alter, nix mit Schlüssel, tönte er, du musst jetzt ’nen Code eintippen. Und ganz wie in Paris drückte er auf ein Nummernfeld, und bsss schnappte das Schloss auf. Willkommen zu Hause! Gott sei dank: wenigstens das Wahlkampfbüro von Pflüger und Co trotzte dem Lauf der Zeiten. Die Heinis von der Jungen Union im Erdgeschoss schnarchten wie immer im Berliner Zimmer am Tippkick. TIMO BERGER