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: Goethe sucht seine Identität

Wer am Donnerstagabend zufällig am Wyoming-Building auf der New Yorker Lower East Side vorbei flanierte und einen Blick in den offenen Eingangsbereich des alten Kontorhauses warf, wird nicht weiter über das Treiben dort gestaunt haben. In dem notdürftig verputzten Rohbau waren ein paar Stühle aufgestellt worden, auf dem nackten Betonboden standen zwei Kübel voller eisgekühlter Bierflaschen, ein paar Dutzend Jungintellektuelle standen beieinander und diskutierten angeregt. Es war eine typische Szene für dieses Viertel, wo ständig in irgendeinem ehemals kommerziellen Raum eine Ausstellung eines noch unbekannten Künstlers eröffnet oder eine sonstige alternative Kulturveranstaltung stattfindet.

Tatsächlich wurde hier, mitten im neuesten Zentrum der New Yorker Kunstavantgarde, dem Bowery Art District, jedoch ein Ableger des Goethe Institutes eingeweiht – traditionell nicht eben der Hort progressiven Kulturschaffens. Die New Yorker Dependance der offiziellen Vertretung deutscher Kultur in der Welt renoviert gerade ihr Stammhaus, eine Großbürgervilla an der mit Abstand vornehmsten Adresse Manhattans, der Fifth Avenue. In der Zwischenzeit nistet sich das Institut in der Szene ein – gemeinsam mit dem Museum für zeitgenössische Kunst der angesagten japanischen Architektengruppe Sanaa etwa.

Das Goethe Institut möchte sich offenbar ein neues, junges Image geben. Die Zeiten der steifen Schriftsteller- und Akademiker-Vorträge sowie der Filmnachmittage für heimwehgeplagte ältere Deutschamerikaner in den gediegenen Fifth-Avenue-Räumen sollen vorbeisein. Deshalb wurde der Umzug auch unter das Motto „Re-Inventing Goethe“ gestellt.

Der Neuerfindungsauftrag ging an das Berliner „Institut für Angewandte Urbanistik“ – jene Architektengruppe, die schon mit ihren Designs für den Kunstverein München, das Künstlerhaus Stuttgart und die Berliner Buchhandlung „pro qm“ für reichlich Aufsehen gesorgt hat. An der Bowery, erklärten sie am Donnerstag dem New Yorker Publikum, wollen sie einen Raum schaffen, der dem Flaneur die Schwellenangst nimmt, eine so gewichtige Kultureinrichtung zu betreten, und der zugleich so wenig definiert wie möglich ist. Letzteres ist wohl auch notwendig, denn das neue Goethe Institut – das gibt der regionale Programmdirektor Stefan Wackwitz durchaus zu – sucht noch nach seiner Identität. An der Bowery hat es sich nun einen Ort geschaffen, um auszuprobieren, was in einer massiv geschrumpften Welt, in der Berlin und New York nur noch einen Mausklick entfernt sind, denn seine Funktion noch sein könnte.

SEBASTIAN MOLL