Pop ist eine eifersüchtige Herrin

Ab jetzt nur noch live: Bill Drummond hat einen Chor gegründet, der nur live spielt, und dazu ein Manifest verfasst. Im Club Transmediale versuchte die KLF-Legende zu erklären, warum aufgezeichnete Musik keine Zukunft mehr hat

Wie macht man Musik, wenn man nicht mehr weiß, wie Musik mal geklungen hat?

Dass das Nerdtum in dieser Stadt immer wieder so gefüttert wird, dass es nicht ausstirbt, ist bekannt. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe Club Transmediale, der sich von seinem Mutterschiff, dem Kunstfestival Transmediale, inzwischen weitgehend gelöst hat, findet genau dieses Nerdtum Futter ohne Ende für seine obskuren Passionen. Seit Freitag wird einerseits elektronische Musik und Musik, die wie elektronische Musik ist, vor allem in der Maria am Ufer performt. Im Kunstraum Kreuzberg im Haus Bethanien dagegen wird visualisiert, installiert und vorgetragen.

Während man noch auf dem Weg zum Bethanien, der schlecht beleuchtet, aber vom Nebel verhüllt ist, denken könnte, dieser Teil des „Clubs“ sei eher wenig besucht, wird man im Kunstraum selbst eines Besseren belehrt – an der Kasse Verzweifelte, die versuchen eines der letzten Tickets für einen Vortrag zu bekommen, während allerorten Musiknerds herumwuseln oder sich von ihren Laptops verführen lassen.

Ganz besonders gefüllt war am Sonntag ein allzu kleiner Vortragsraum, in dem Bill Drummond auszuführen versuchte, warum alle aufgezeichnete Musik ihre Zeit gehabt haben soll. Drummond war Mitglied des Duos KLF – und aller anderen Bands und Projekte, die KLF vorausgingen oder folgten. Er war Popstar und zugleich vehementer Kritiker des Popbusiness. Nicht nur, weil er gemeinsam mit seinem Co-Star James Cauty einmal eine Million Pfund, die Erlöse aus den KLF-Verkäufen, verbrannte, sondern auch, weil er dieses Business in Büchern, Artikeln und Interviews auf provokante und ironische Weise hinterfragt hat. Zugleich hatte Drummond als A&R einer großen Plattenfirma dasselbe gewissermaßen von innen studieren können.

Der Mann, der sich mit ausholenden, aber feinen Gesten auf der Bühne präsentierte, bot ein weiteres Beispiel für jene wunderbare Spezies britischer Mittfünfziger, die ohne Pop nicht leben können und daran aufs Schönste verzweifeln. Drummond beschrieb, wie ihn „Strawberry Fields“ von den Beatles für den Pop gewann und wie Pop seitdem sein Leben und Denken beherrscht. Musik sei eine „jealous mistress“, eine eifersüchtige Herrin, die, habe man sich einmal zu sehr mit ihr eingelassen, versuche das ganze Leben zu beherrschen, warnte Drummond. Dennoch glaubt er, dieser Herrin entkommen zu sein oder ihre Ansprüche zumindest in Schach halten zu können. Damit aber betrügt er sich selbst, wie sich zeigte.

Drummonds These, dass aufgezeichnete Musik ihre Zeit gehabt hat, begründete er mit seinem Gefühlshaushalt: er wolle neue Musik, nicht alte, er sei nicht, wie andere Herren seines Alters, davon überzeugt, dass Musik früher besser gewesen sei, sondern dass sie, im Gegenteil, immer besser werde. Daher sei er wild darauf zu erfahren, wie sie in hundert Jahren klingen werde. Die Aufzeichnung nun wieder sei eine alte Kulturtechnik, die Musik beschränke und ihrer Wirkung beraube. Deshalb gründete er einen Chor, The 17, der immer wieder neu zusammengesetzt wird. Die Auftritte der 17 sind einmalig. Eventuelle Aufzeichnungen – für Samples oder auch nur, um in das, was man eben gesungen hat, noch mal hineinzuhören – würden nach jeder Session erbarmungslos gelöscht. Dieses Prinzip hat Drummond auch in einem Buch dargelegt, „17“ heißt es. In ihm wird unter anderem die, wie er selbst einräumt, prätentiöse Hoffnung formuliert, dass die Musik der Siebzehn so klänge, wie Musik klänge, die man machen würde, wenn man nicht mehr wüsste, wie Musik mal geklungen habe. Das war schön vorgetragen, aber doch reichlich esoterisch. Daher konnte Moderator Martin Conrads, der allzu sanft nachhakte, Drummond keine tiefergehenden Gedanken entlocken.

Sagen wir es böse: Drummond ist ein älterer Herr, der Angst vor all der Ironie bekommen hat, mit der er in seiner Jugend das Business anpisste, und der erkennen musste, dass er so fixiert auf dieses Business ist, dass es ihn nicht mehr loslassen wird. Also formuliert er, unbeleckt von der Musiktheorie, steile Thesen und begibt sich auf die Suche nach der Essenz der Musik und wirkt dabei so albern wie alle Essentialisten. Oder wir sagen es freundlich: Drummond ist ein charmanter Unterhalter, nur hat er gerade nicht viel zu sagen. Aber es ist ja tatsächlich schwer, in Würden 60 zu werden, wenn man mit 30 schon legendär war. Und andere Popstars blamieren sich da weitaus mehr. JÖRG SUNDERMEIER