uli hannemann, liebling der massen
: Diebe, Mörder, Kinostörer

Das junge Paar unterhält sich angeregt. Die Themen variieren, zum Teil scheint es entfernt um Film zu gehen. Der Tonfall der Frau wirkt eine Spur gedämpft, dafür ist die Stimme des Mannes geeignet, sich gegen den Geräuschpegel einer Bahnhofshalle durchzusetzen. Wir sitzen aber im Kino. Es läuft ein Film. So nennt man das, was nach der Reklame und den Trailern kommt: ein Film. Dass so ein Film angefangen hat, kann man daran merken, dass Werbung und Filmempfehlungen vorüber sind.

Allerdings müsste man dazu die vom Auge ans Gehirn übermittelten Informationen in irgendeiner Form einordnen können. Der laut trötende Typ kann das nicht. Ich drehe mich zu ihm um und starre ihm direkt in die Augen. Er starrt zurück. Kurz muss er aufhören zu plappern, weil er nicht gleichzeitig starren kann. Kaum habe ich mich wieder abgewandt, geht hinter mir der Sermon weiter. Nichts liegt mir ferner, als hier irgendjemand anzuschwärzen. Lediglich für die Statistik merke ich also an, dass diese komplett geistesgestörten, asozialen Brüllaffen am Samstag, den 17. Januar 2009 in der 17.15-Uhr-Vorstellung von „Revolutionary Road“ in Saal 3 des Zoni-Centers in der Reihe I, Mitte, auf den Plätzen ungefähr mit den Nummern 11 und 12 fast direkt hinter uns saßen. Der Mann körperlich groß wie klein im Geiste, mit einem Bart wie um den leeren Gesichtsausdruck zu kaschieren. Einer von denen, die denken, dass sie zu jeder Zeit und an jedem Ort für jeden Menschen Wichtiges zu erzählen haben. Dass selbst ein „Könnt ihr bitte mal leise sein – das stört total!“ nie länger als fünf Minuten wirkt, deutet auf Drogenkonsum hin. Die sind so weg, so hinüber, so jenseits jedes zivilisatorischen Horizonts, die würden auch auf ihren Kinosessel kacken oder in der U-Bahn vögeln, solche Leute sind das, so sind die drauf. Zwischendurch zermalmen sie krachend irgendwelches Blödenfutter, das sie aus einer irrsinnig knisternden Tüte ziehen. Ich tröste mich mit dem utopischen Wunsch, dass durch die Nahrungszufuhr womöglich der Drogeneinfluss nachlässt. Was mich wundert, ist, dass sie nicht auch noch telefonieren. Aber wahrscheinlich sind die Akkus noch leer vom Vorabend – da waren sie nämlich in der Oper, das dauert ja meist viel länger als ein Film.

Beim Stichwort Handy fällt mir plötzlich ein, woher ich die Gesichter zu kennen glaube. Sie ähneln einem Pärchen, das bei der Reformbühne Heim & Welt in der ersten Reihe saß und sich dort in völlig ungebremster Lautstärke unterhielt. Irgendwann fing sie dann doch tatsächlich noch zu telefonieren an. Den beiden schien jeder Ort Kulisse und jeder Mensch Komparse in ihrem ganz privaten großen Spiel des Lebens zu sein.

Ihre Gedankengänge während der Lesung stellte ich mir in etwa so vor: „Ey, was stehen denn da für Leute auf der Bühne? Ist das krass. Was machen die da? Hier sind lauter Bänke, da kann man nicht rumlaufen. Doofe Bänke. Ey, die reden die ganze Zeit in so ein Mikro rein. Abgefahren. Du, hast du noch Drogen? Ey, ich versteh gar nichts. Null. Hab mir irgendwie das Sprachzentrum rausgeschossen übers Wochenende. Na, dann rede ich eben selber. Hab kein Mikro. Na, red ich eben lauter. Ist das ein lustiger Sonntag! Ah, mein Handy klingelt. Ja? Ja, ich bin hier in so’nem Zirkus oder so. Nee, eher langweilig. Ja, blöd. Wohin? Hey, du, wir gehen woandershin, die Leute hier gucken uns so komisch an, das sind alles voll die Spießer hier, glaube ich.“

Nach der Pause waren sie denn auch weg. Entweder wegen der Spießer oder es war ihnen zu unruhig. Im Gegensatz zum Kino war die Frau die Schlimmere, aber bestimmt lösen die sich ab, wer mehr Krach machen darf. Oder es waren doch nicht dieselben. In meinen Augen sehen die sowieso alle gleich aus: außen eine runzlige Rosette mit zwei Ohren und in der Mitte nur ein dunkles Loch. ULI HANNEMANN