Der Schulhof meiner Tochter

„Stilles Chaos“ ist von Antonello Grimaldi und trotzdem ein Nanni Moretti-Film

Nein, sein Musical über einen trotzkistischen Konditor hat Nanni Moretti immer noch nicht gedreht, aber an dieses Versprechen aus einem seiner früheren Filme erinnert immerhin der Name seiner Produktionsfirma „Sacher Film“. Der Italiener ist inzwischen für Kinogänger ein guter alter Bekannter, und er gehört zu den wenigen Regisseuren, die einen persönlichen Stil so konsequent und erfolgreich durchgesetzt haben, dass ihre Filme im Grunde schon ein Sub-Genre bilden. Der Titel seines größten Erfolges „Liebes Tagebuch“ von 1993 bringt das schön auf den Punkt. Tatsächlich sind die meisten seiner Filme eher Journale als Dramen, in denen ein linksintellektueller Italiener gerne selbstironisch über Gott und die Welt plaudert, und dabei möglichst viel durchs sommerliche Rom fährt. Am liebsten mit der Vespa, aber mit den Jahren wurden auch die Fahrzeuge gesetzter. Als Kontrapunkt erlebt er meist eine persönliche Krise, so seine Krankheit in „Caro diaro“ oder den Tod des Kindes in „Das Zimmer seines Sohnes“, aber die Grundstimmung bleibt immer gelassen und auf eine sehr angenehme Art melancholisch.

Nach seiner eher untypischen Berlusconi-Farce „Il Caimano“, die kaum in den deutschen Kinos zu sehen war, hat Moretti nun wieder einen Moretti-Film gemacht. Inzwischen braucht er dabei nicht einmal mehr Regie zu führen, ja er kann sogar einen Bestseller („Chaos Calmo“ von Sandro Veronesi) adaptieren, und dennoch ist er eindeutig der Autor, und dies nicht nur, weil er mit am Drehbuch geschrieben hat. In seinem Protagonisten Pietro Paladini schwingen all seine Alter Egos aus früheren Filmen mit, und so bekommt dieser Manager eines Pay-TV-Senders von Beginn an eine Tiefe, die keine noch so raffinierte Exposition hätte schaffen können.

Ausgerechnet nachdem er am Strand eine Frau vor dem Ertrinken gerettet hat, erfährt Pierto vom plötzlichen Tod seiner eigenen Ehefrau. Danach hat seine kleine Tochter Angst, allein in die Schule zu gehen, und er verspricht ihr, sie jeden Tag dorthin zu begleiten. Im parkähnlichen Hof vor dem Schultor bleibt er einfach auf einer Bank sitzen und wartet, bis sie nach Schulschluss wieder herauskommt. Statt ins Büro geht er danach jeden Morgen zur Schule seiner Tochter, liest die Zeitung und schließt Bekanntschaften. Eine schöne Frau führt jeden Tag ihren Hund spazieren, mit dem Besitzer der Trattoria an der Ecke wird ein wenig geplaudert und ein Junge mit Down-Syndromerwartet bald einen rituellen Gruß. Zuerst halten seine Kollegen Pietro für übergeschnappt, aber seine Gelassenheit macht Eindruck, und vor einer undurchsichtigen Konzernübernahme kommen schließlich die Mächtigen der Wirtschaft zu dem kleinen Hof vor der Schule, um ihn um Rat zu fragen. Ein perfekter kleiner Gastauftritt soll nicht dadurch an Wirkung verlieren, dass hier der Name des Besuchers genannt wird.

Im Film gibt es zwar zahlreiche Verwirklungen, so etwa mit seinem oberflächlichen und extrem erfolgreichen Bruder Carlo (Alessandro Gassmann), aber die wichtigen Entwicklungen finden im Inneren von Pietro statt. Wie sehr er unter dem Verlust leidet,zeigt Moretti in kleinen, verlorenen Gesten und leeren Blicken. Aber er nutzt auch wieder sein perfektes komisches Timing und schafft so einen kühleren Gegenstrom, durch den vermieden wird, dass die Geschichte etwa sentimental werden könnte. Stattdessen ist dies ein Loblied auf die Kontemplation, und statt eines eher beliebig wirkenden Stücks von Radiohead hätte „The Fool on the Hill“ von den Beatles perfekt dazu gepasst.WILFRIED HIPPEN