Spektakelkunst ohne Knutschen

Robert Henke und Christopher Bauder zeigten im Berghain eine Klanginstallation. Oder war es eine Performance?

Leuchtende Luftballons, die Ballett im Dunkeln tanzen, umringt von Menschen, die es sich auf Sitzkissen im Schneidersitz bequem gemacht haben, dazu weitestgehend beatfreie Musik, viel verstörend atonales Pianogeklimper, unterlegt mit Halleffekten: was, bitte schön, war hier denn los im Berghain?

Berlins beliebtester Technoclub hat sich einmal mehr als erstaunlich wandelbar erwiesen. Nach Tanztheater, Oper und Klassikabend, hat nun, einen Abend lang, die Kunst dort Einzug gehalten. Wobei nicht ganz klar ist: war das nun Klanginstallation, Performance oder doch eine Art Kindergeburtstag für die Freunde elektronischer Musik? „Atom“ nannte sich das von der Idee her eindrucksvolle, auf Dauer etwas eindimensionale Spektakel, das der Berliner Ambientelektroniker Robert Henke alias Monolake gemeinsam mit dem Künstler Christopher Bauder in Szene gesetzt hatte. Uraufführung war bereits im Pariser Centre Pompidou, also im Kulturtempel, jetzt wurde der Club in einen, wie es hieß, „elektroakustischen Salon“ verwandelt.

Und siehe da: dort, wo normalerweise am Wochenende gebaggert, getanzt, geknutscht wird und nackte Oberkörper aneinander gerieben werden, herrschte plötzlich andächtige Stille, selbst an der Bar hing ein Schild, auf dem stand: „Während der Performance bleibt der Barbetrieb geschlossen.“

64 Heliumballons also, alle ausgestattet mit leuchtenden LEDs, formierten sich immer wieder neu zu diesen Atomgittern, die wir noch aus dem Physikunterricht her kennen. Jeder einzelne Ballon wurde von einem Motor angetrieben und konnte so von der Regie in die jeweils erwünschte Position gebracht werden. Das ergab mal eine klar geordnete Treppe aus Ballons, mal Choreografien, deren Strukturen nicht so genau zu durchschauen waren. Immer mal wieder fiel auch alles auseinander, die Ballons verloren sich in Chaoskonstellationen, doch auch das, so wissen wir, kann bei diesen Atomen ja vorkommen, wenn sie den Aggregatszustand ändern. Allerdings meinte Robert Henke nach der Performance, dass die Ballons doch ein wenig zu sehr das gemacht hätten, was sie wollten, die ganze Performance sei eben eine komplizierte technische Veranstaltung, und als solche funktioniere sie noch nicht fehlerfrei.

„Zauberei aus Licht und Luft“, nannte der Stern einmal die Spektakelkunst im öffentlichen Raum von Olafur Eliasson, und diese Beschreibung traf auch auf „Atom“ zu. Es ging um schlichtes Ergriffenwerden, um multidimensionale Effekthascherei durch Lichtspiel und Klangkunst, um das Wunderkerzengefühl in viel größer. Der Wow-Effekt war gefragt wie bei von Volkswagen gesponserter Event-Kunst, und er stellte sich auch ein. Allerdings fehlte irgendwann ein wenig die Dramaturgie. Zu einem echten Höhepunkt kam es nicht, die Ballons blinkten einfach fröhlich immer weiter und die Musik arbeitete sich noch tiefer in Klangdimensionen ein, die an Stockhausen und Artverwandte erinnern sollten, und man hatte plötzlich die bösartige Idee, mal in so einen Ballon hineinzupiksen, um zu sehen, wie das Atom denn auf so etwas reagieren würde. Und dann war doch Schluss. Ein einzelner Ballon stieg einsam der Decke entgegen, die Leuchtdioden zuckten matt ein letztes Mal, und dazu pluckerte es noch einmal leise aus den Boxen. Dann: Licht an, Bierflaschen klappern, heute ist wieder Party, so als ob nichts gewesen wäre. ANDREAS HARTMANN