Kaffeezittern

Stronger than me

Dieses furchtbare Kaffeezittern. Es war schnell mit Angst zu verwechseln. H. roch an der frisch gewaschenen weißen Wäsche, die über Nacht getrocknet war. Das half. H. war in der letzten Nacht den ganzen Weg von der Party nach Hause gegangen. Vielleicht über drei Bezirksgrenzen. Er hatte bei jedem Schritt Entscheidungen verschoben und Sätze im Kopf ausprobiert, bis es an der letzten Kreuzung keine Auswahl mehr gab.

Am Morgen wachte er auf und erwartete einen Kater, aber es gab keinen, weil er nüchtern gewesen war. Trotzdem schien die Nacht wie hinter einer Farbfolie. Das war die Hoffnung kurz vor dem Zittern. Wie man alles kurz mit anderen Augen sehen kann. H. machte sich Stichpunkte dazu, wie sich seine Gefühle verändert hatten in den letzten Monaten: erst Panik, dann Respektverlust, dann Enge, dann ließ er Platz und schrieb in die nächste Zeile „Teufelskreis“. Wie man plötzlich alles mit den alten Augen sieht und Stichpunkte unmöglich sind.

H. entschied sich, in ein Café zu gehen, dort setzte er sich auf ein Sofa im Raucherraum und schwitzte kurz. Dann konnte er nicht mehr aufstehen. Wohin auch. Der nächste Kaffee machte es nicht besser. Er dachte sich Settings für Bandfotos aus, er plante seinen Geburtstag in drei Jahren, er machte Playlisten für einen Urlaub, in den er nicht fahren würde, er schrieb keine SMS. Er wartete auf Antwort und schämte sich.

Neben ihm wurden Verben gelernt in einer Sprache, die er nicht kannte. H. wartete auf die Adjektive. Wie immer, dachte er und machte noch ein bisschen in Social Networking. Er stand auf und ging hinaus. An die Wand neben dem Cafe hatte jemand you have to be stronger than me geschrieben. Dann war das Zittern wieder weg. LAURA EWERT