Drei Leute und ein versuchter Mord

Im Eigenreich lassen sich junge Talente entdecken. Auch bei der Premiere von Claudius Lünstedts „Krieger im Gelee“

Im Hinterhof hat das Off es sich gemütlich gemacht. Das Eigenreich, ein kleines Theater in den Räumen einer ehemaligen Zigarettenfabrik in Prenzlauer Berg, besteht aus einer mit ausrangierten Sofas bestückten Theaterbar und einem daran anschließenden winzigen Theaterraum. Die Scheinwerfer wurden gespendet, die dreieinhalb Theaterstuhlreihen wurden geschenkt. Wer hier keinen Platz findet, muss sich mit Sitzkissen begnügen.

Der 1973 in München geborene Dramatiker Claudius Lünstedt ist seit den Anfängen Vereinsmitglied im Eigenreich, an anderen Abenden stand er auch schon mal hinter der Theke des Theaters, das sich durch den Verkauf von Karten und Getränken finanziert. Nun wird hier zum ersten Mal aufgeführt. Vorgestern hatte die deutsche Erstaufführung seines Stücks „Krieger im Gelee“ Premiere.

Lünstedts Monolog-Triptychon lässt die drei Figuren jeweils getrennt voneinander zu Wort kommen. Aus ihnen strömt ein Wortfluss heraus, in dem die Satzzeichen fehlen und einzelne Teile verschluckt werden. Die sich auflösende Syntax spiegelt das Auseinanderfallen der Lebensentwürfe der Figuren wider. Aus drei Perspektiven schildern sie mit steigernder Sogkraft die Ungeheuerlichkeit, in die sie alle verstrickt sind: den Mordversuch an einem 14-Jährigen.

Mervin, wohlstandsverwöhnt und gewillt, aus seiner Heile-Welt-Käseglocke auszubrechen, ist das Opfer; Martin der Täter, der mit einem asketisch abgezirkelten Tagesablauf sein Seelendunkel bekämpft; Katrin wiederum heißt die pragmatisch alles Irrationale aus ihrer Jurastudiumswelt ausschließende Freundin des zufälligen Retters Dieter. Was die drei zur Sprache bringen, ist eine Variation des perfekten Verbrechens, des Mords ohne Motiv, der interesselosen Verwandlung von Theorie in Praxis. Martin, der nur ein einziges Buch liebt, hat sich entschieden, „eines der im Buch festgehaltenen Verbrechen loszureißen, es bei vollem Verstand in die Realität zu überführen und möglichst eins zu eins auszuführen“.

Regisseur Aureliusz Smigiel findet für das auf den ersten Blick wie innermonologische Prosa anmutende Drama, das ohne Begegnungen und Dialoge auskommt, verblüffende szenische Lösungen. Er schneidet die Parts von Mervin und Martin, Opfer und Täter, ineinander. So verringert er zwar die Spannung des in Lünstedts Dramaturgie nur nach und nach enthüllten Plots, kann dadurch aber die Parallelen im Zwangscharakter, in Ausbruchs- und Sinnbegehren von Opfer und Täter herausstellen.

Dabei vermeidet Smigiels präzise Inszenierung, die wie sonst auch viel mit Lichteffekten arbeitet (Florian Guist), die Illustration des Erzählten weitgehend, bedient sich stattdessen dezent symbolischer Gesten. Da freuen sich Mervin und Martin headbangend über die Aussicht auf ihr verabredetes Treffen, das sie zwar mit ganz unterschiedlichen Erwartungen erfüllt, doch für beide einen Freiheitssprung bedeutet.

Weiße Federn sind die Metapher, die alle Bilder durchzieht. Mervin, der später als in Plastik verpackte Ladung vogelgrippeverseuchter Schwäne entsorgt werden soll, pustet sie leicht durch den Raum, wenn er sich anfangs fragt, ob es ihm „nicht einfach viel zu gut geht im Leben“. Martin wirbelt sie im Taumel herum und steckt sie behutsam dem Opfer ins Haar.

Smigiel begegnet allen drei Figuren mit unvoreingenommenem Verständnis für ihre jeweils verkorksten Innenwelten. Dafür hat er mit Paul Schröder (Mervin), Stephan Baumecker (Martin) und Wicki Kalaitzi (Katrin) drei wandlungsfähige Schauspieler an der Hand. Sie wissen sich Lünstedts Sprache zu eigen zu machen, zerlegen die mäandernden Sätze an den Bruchstellen und füllen sie mit differenzierten Tonlagen. Eine echte Entdeckung ist der Noch-Ernst-Busch-Schauspielschüler Paul Schröder. Nicht zuletzt wegen solcher Schauspieler, die sich hier weitgehend abgeschottet ausprobieren können, ist das Eigenreich immer einen Besuch wert. ANNE PETER

Programm: www.eigenreich-berlin.de