Ein kurzer Film über das Töten

„Sieben Tage Sonntag“ von Niels Laupert ist ein Anti-Drama über plötzliche, unmotivierter Gewalt

Geschichten haben immer etwas Tröstendes. Selbst wenn es schreckliche Tragödien sind, in denen Tod und Verzweiflung herrschen, spiegeln sie doch vor, es gäbe eine Ordnung: einen Beginn, eine Mitte und ein Ende. Und zumindest der Erzähler hat überlebt: „he lived to tell the tale!“ Bei Kriminalgeschichten ist die Suche nach dem Täter immer auch die Suche nach dem Motiv – und weil Gier, Eifersucht, Lust oder Hass keinem Menschen ganz fremd sind, kann man die Gründe für ein Verbrechen zumindest nachvollziehen.

Aber bei Fällen von plötzlicher, unmotivierter Gewalt, wie sie zur Zeit gehäuft von meist jugendlichen Tätern ausgeübt wird, helfen solche Geschichten nicht. Wenn etwa junge Männer in Berlin inzwischen regelmäßig Busfahrer zusammenschlagen, Holzklötze von Autobahnbrücken geworfen und nachts Obdachlose totgetreten werden, dann hilft weder ein schlauer Kommissar noch eine Analyse der sozialen Umstände weiter. Keine Fiktion kann das Erschrecken mildern. Solch einem Fall wird man eher mit einem Anti-Drama gerecht, und genau diesen Weg ist Niels Laupert mit seinem Debütfilm „Sieben Tage Sonntag“ gegangen.

Er basiert auf dem wahren Fall von zwei 16-Jährigen, die 1996 in Polen wegen einer Wette wahllos einen Menschen getötet haben. Die Protagonisten Adam und Tommek gehen nicht mehr zur Schule und arbeiten auch nicht, so dass jeder Tag für sie Sonntag ist. In einer tristen Plattenbausiedlung leben sie ziellos in den Tag hinein – trinken, klauen ein wenig, langweilen sich. Solch einen monotonen Tag, dessen dramatischer Höhepunkt aus einem an einer Dose Ravioli geschnittenen Finger besteht, zeigt der Film in vom Kameramann Christoph Dammast grandios fotografierten Cinemascope-Bildern, die in ihrer Weite natürlich alles noch grauer, banaler und leerer aussehen lassen. Durch das Wissen um das Ende und darum, dass dies ihr letzter Tag in Freiheit sein wird, bekommen einzelne Szenen, in denen etwa Adam ein scheues Verhältnis zu einem Mädchen aus der Nachbarschaft aufbaut, eine Prägnanz, die aber durch die Inszenierung nie forciert wird.

Man sucht vergebens nach Hinweisen darauf, wie dieser Tag zu solch einer Tat führen konnte. Der angeberisch aggressive Tommek und der eher stille Adam werden nicht dämonisiert – auch diesen dramaturgischen Trick vermeidet Laupert. Stattdessen rekonstruiert er so detailliert wie nur möglich den Tag und die darauf folgende Nacht. Er bietet auch keine Erklärungen – stattdessen lässt er Ludwig Trepte und Martin Kiefer die beiden extrem authentisch spielen. Ganz nebenbei gelingt ihm dabei etwas, an dem viele seiner Kollegen scheitern: er inszeniert Langweile ohne dabei selbst langweilig zu werden. Ein Grund dafür ist sein genauer Blick und die Sparsamkeit des nur 80 Minuten langen Films. Den Gewaltakt selbst zeigt Laupert nicht – auch nicht indirekt mit Kameraperspektiven und Toneffekten, die er bei einigen Schlägereien davor eindrucksvoll einsetzt.

Bei manchen Einstellungen erkennt man die Vorbilder „In Cold Blood“ nach dem Tatsachenroman von Truman Capote und natürlich Kiéslowskis „Ein kurzer Film über das Töten“. Als Zitat lesen kann man auch den kurzen Auftritt von Karin Baal in der Rolle der Großmutter von Adam. 1956 spielte sie in Will Tempers „Die Halbstarken“ die „jugendliche Straftäterin“. Mit einer sphärischen Musik von „Portishead“ begeht Laupert dann ganz am Schluss doch nicht einen kleinen Stilbruch. So enden viele Film, aber bei diesem hätte man einen originelleren Schlussakkord erwartet. WILFRIED HIPPEN