Selbst im Selbstmord noch schön

Werner Schroeter zeigt seinen neuen Film „Diese Nacht“ in der Volksbühne, will aber nicht wirklich drüber reden

Die Volksbühne ist beinahe ausverkauft, dabei wird nur ein Film gezeigt. Nur ein Film? „Diese Nacht“ von Werner Schroeter feiert seine Deutschlandpremiere auf der „Filmbühne“, wenn auch in untertitelter Fassung, da die von Schroeter selbst bearbeitete Synchronfassung, die im April in die Kinos kommt, nicht rechtzeitig fertig wurde. Doch nicht nur des Films wegen, dem auf der Viennale in Venedig im vergangenen Jahr der Sonderpreis der Jury zugesprochen wurde, waren die Leute erschienen, sondern vor allem wegen Werner Schroeter, den zu sehen einige kaum mehr gehofft hatten.

Schroeter hatte „Diese Nacht“ unter widrigen Umständen fertiggestellt. Diesmal fehlten nicht nur die nötigen Gelder, auch musste er sich mehr Kraft abringen als sonst. Krebskrank sei er, hieß es, „todkrank“ sogar. Schroeter war abgemagert, aber voller Tatendrang und Selbstsicherheit. Die Krankheit sei, gab er an, endlich überwunden.

„Diese Nacht“ ist ein Film, der auf einem Roman des Südamerikaners Juan Carlos Onetti beruht, der in Porto gedreht wurde, der sehr französisch daherkommt und der Schroeter trotzdem die Möglichkeit eröffnet, sich vom deutschen Publikum wiederentdecken zu lassen. Denn bei aller Opulenz, die dieser Film mit sich bringt, ist er, wenn man sich auf die Bilder einlassen mag, leicht zugänglich. Schroeter ist das Comeback in Deutschland zu gönnen, geht dieses Land doch stets ruppig mit seinen unverdrucksten Meistern um. Klaus Kinski, Nina Hagen, Udo Kier, Rosa von Praunheim, sie alle mussten das Land verlassen oder gewissermaßen in einen Spleen hinein emigrieren, man entbot ihnen zwar Respekt, gönnte ihnen Erfolge. Ähnlich erging es Schroeter, der Stücke und Opern inszenierte und ein bildstarkes Filmwerk schuf, das in Frankreich zahlreiche Fans fand – Michael Foucault vorneweg –, hier aber stets am Rande einsortiert wurde, schwul, schwülstig und überladen, wie es ist.

Dieses Bild sollte in der Volksbühne zumindest für einen Abend korrigiert werden. Schroeter wurde vom Publikum bereits vor Filmbeginn gefeiert, und er genoss die Zuneigung, die man ihm entgegenbrachte, badete ganz unverschämt darin.

Der Film dann erschlägt sein Publikum mit starken Bildern, mit pathetischer Musik und mit Darstellern, denen der Regisseur bei aller Inszenierung und allem Formwillen sehr viel Raum gibt, um ihre Kunst unter Beweis zu stellen. Dennoch, wenn man die Einzelbilder zu einem Gesamtbild zusammenfügte, überzeugte sein Plot nicht. Die hohe Künstlichkeit, die Schroeter starke Bilder schaffen lässt und ihn zu kühnen Schnitten verführt, hebt nicht auf, dass der Film allzu plump mit Liebe, Leben und Tod jongliert. Selbst im Selbstmord ist der korrupte Despot noch schön und traurig, selbst die Gefolterte und die Vergewaltigte ergeben zusammen ein schönes Bild. Die Sucht nach Erhabenheit aber wird im Film nicht durch eine subtile gedankliche Konstruktion unterfüttert, das ist sein einziger Makel.

Im an den Film anschließenden Gespräch mit dem Filmkritiker Ralph Eue offenbarte sich diese theoretische Defizit Schroeters einmal mehr, was auch daran lag, dass Eue Schroeter dort, wo der Regisseur ins Schwärmen geriet, zu Erklärungen zwingen wollte. Schroeter mochte oder konnte nicht von der Gesellschaft reden an diesem Abend, er sah politische Handlungen vornehmlich als private an. Als sei die Weltpolitik nur dazu da, um Bilder machen zu können von schönen Menschen, die dramatisch rauchen. Schroeter unterstellt seinen Figuren eine größtmögliche innere Freiheit, was merkwürdig ist, wenn er zugleich die Brutalität eines Regimes bildlich ausschlachtet.

Doch darum sollte es an diesem Abend nicht gehen, und irgendwann mochte Schroeter sich nicht mehr erklären, sondern einfach feiern. Und das selbstverständlich mit allem Recht. JÖRG SUNDERMEIER