Im linksresignativen Milieu

Helene Hegemanns Filmdebüt „Torpedo“ ist gleichermaßen autobiografisches Fragment wie Milieustudie. Gerade läuft der Film der erst Sechzehnjährigen in drei Berliner Kinos

VON ANDREAS RESCH

Da kann die Philologie noch so vehement die Autonomie des Kunstwerks proklamieren: Irgendwie tendiert man doch immer dazu, Künstler und Werk in Relation zueinander setzen zu wollen. Besonders deutlich lässt sich diese Neigung am derzeitigen Hype um die in Berlin lebende Filmemacherin Helene Hegemann erkennen, die, seit sie im Januar mit ihrem Debüt „Torpedo“ beim Max-Ophüls-Wettbewerb in Saarbrücken den Preis für den besten mittellangen Film gewonnen hat, in den Medien zum neuen Wunderkind des deutschen Films ausgerufen wird.

Aus zweierlei Gründen verstellt die Person Helene Hegemann besonders stark den direkten Blick auf ihr Werk: erstens, weil der Film, der fragmentarisch aus dem Leben der fünfzehnjährigen Mia erzählt, über weite Strecken autobiografisch ist. Vor allem aber, weil Helene Hegemann selbst gerade einmal sechzehn Jahre alt ist. Dadurch wird „Torpedo“ mit zusätzlicher Bedeutung aufgeladen. Das ist Glück und Unglück zugleich. Glück, weil der Film eine öffentliche Wahrnehmung erhält, die ihm ansonsten wohl kaum beschieden gewesen wäre. Unglück, weil das Gesehene immer sogleich mit einem „Ja, aber die ist ja auch erst sechzehn“-Label versehen wird.

Nüchtern betrachtet ist „Torpedo“ eine lose Aneinanderreihung mehr oder minder absurder Szenen: Mia, die auf einem Auto herumtrampelt und flüchtet, als dessen Besitzer auftaucht, die sich von ihm einholen lässt, nur um den verdutzten Mann zu bitten, ihr ins Gesicht zu schlagen. Später wird sie ihn ohne ersichtlichen Grund in seiner Wohnung fesseln.

In anderen Szenen sieht man Mia, gespielt von einer bewundernswert ausdruckslosen Alice Dwyer, in der Wohnung ihrer hysterischen, sich von einem Nervenzusammenbruch zum nächsten hangelnden Schauspielerinnen-Tante. Man folgt ihr in die Schule, ins Theater. In Interviews bezeichnet Helene Hegemann das in „Torpedo“ gezeigte Milieu als linksresignativ, was die Sache ziemlich genau auf den Punkt bringt.

Das, was man im Verlauf einer knappen Dreiviertelstunde zu sehen bekommt, ist zu sehr Stationendrama, als dass sich daraus eine klar erzählbare Handlung ergeben würde. Nichts erfährt man über die Figuren, was über das sich im Moment Abspielende hinausgehen würde. Zu keinem Zeitpunkt lassen sich Mutmaßungen darüber anstellen, was später im Film noch passieren könnte. Sämtliche Ereignisse stehen für sich – und finden irgendwie nicht recht zueinander. Dass man „Torpedo“ dennoch mit einem gewissen Interesse folgt, hängt vor allem damit zusammen, dass die Regisseurin einen genauen Blick fürs Groteske hat und sich nicht scheut, dieses auf mal grausame, mal komische Weise abzubilden.

Dabei sind die biografischen Parallelen zwischen Helene Hegemann und ihrer Protagonistin nicht zu übersehen. Beider Leben ist im Theatermilieu verankert. Helene Hegemanns Vater Carl war lange Chefdramaturg an der Volksbühne, und man merkt dem Film an, dass die Regisseurin sich in der Subkultur, die sie porträtiert, bestens auskennt. Zudem sind beider Mädchen Mütter früh verstorben. Das Drehbuch sei, so erzählt Helene Hegemann immer wieder in Interviews, auch eine Art Selbsttherapie gewesen, um den Verlust der Mutter zu verarbeiten.

Mutig ist das, sein eigenes Leben so schonungslos in der Öffentlichkeit auszubreiten, und der Film hat durchaus seine schwerelosen Momente, in denen alles unendlich traurig und komisch zugleich ist. Doch als Ganzes funktioniert „Torpedo“ eben nicht wirklich, da der Film zu oft nur abgefilmtes Theater ist. Es fehlt ihm schlichtweg das genuin Filmische, also das mittels Einstellungen Gezeigte und nicht Gesagte. Aber das wird Hegemann sicher noch lernen. Sie ist ja erst sechzehn Jahre alt.

„Torpedo“. Buch und Regie: Helene Hegemann. Mit Alice Dwyer, Jule Böwe, Caroline Peters u. a. Deutschland 2008, 42 Min. Im Lichtblick Kino, im Central und im Moviemento