Das Leben als ständiges Zucken

Erzählungen über uns Helden des Informationszeitalters: Matthias Eckoldts Band „Topidioten“

Was sind „Topidioten“? Das sind „Extremisten der Informiertheit“, heißt es in der Verlagsankündigung über die Titel gebenden Protagonisten von Matthias Eckoldts „Erzählungen aus dem Reich der Verführung“. Typen also, die sich für cool und für clever halten, vor der Leserschaft jedoch als beschränkte Naturen dastehen. Jede Menge Lebenszeit verwenden sie darauf, den Trends und Hypes der modernen Welt hinterherzuhecheln. Egal ob es sich um die angesagten Clubs, die neuesten Fun-Sportarten oder die nächste individualtouristische Herausforderung in Schwarzafrika handelt, immer wissen sie Bescheid, sind der breiten Masse scheinbar einen Schritt voraus, wittern bereits das nächste große Ding. Sie reden in einer Art Angeberslang, der gespickt ist mit fachidiotischen Zeitgeistvokabeln wie „Full Race Buggy“, „Day Spa“ oder „Floating“. Im Dialog der Topidioten hört sich das so an: „Effektives Cardio-Training bekommst du nur bei einer stabilen Pulsfrequenz von 200 minus Lebensalter. Da reicht Bodyshaping nicht.“ – „200 minus Lebensalter ist aber die Pulsspitze.“ – „Nicht bei Cardio! In der Pulsspitze kannst du sogar noch 10 Prozent drauflegen. Habe ich gerade gestern auf der Homepage von fit-I-dot-com gelesen.“

Wer würde nicht die Flucht ergreifen, wenn er unfreiwilliger Zeuge eines solchen Gesprächs werden sollte, sagen wir: auf einer Party? Soll man also Menschen, um die man im Leben einen großen Bogen machen würde, freiwillig in Büchern begegnen, seine kostbare Lesezeit mit topidiotischem Geschwätz verbringen? Ach ja, doch, durchaus, wenn das Geschwätz sich so unterhaltsam und selbstentlarvend präsentiert wie in dem schmalen Bändchen des 1964 geborenen Schriftstellers und Schreibdozenten Matthias Eckoldt.

Seine Protagonisten sind Konsumidioten – Gefangene im Reich der unbegrenzten Möglichkeiten, in dem Information zur Ware wird, zum Wert, von dem niemand genau sagen kann, wie hoch er eigentlich ist. Genau diese Optionsvielfalt, von der sie fasziniert sind, dieser unberechenbare Wert, der wie Aktienkurse zu steigen und zu fallen scheint, wird ihnen zum Verhängnis. Eckoldt zeigt sie in ihrem Scheitern. Am Ende jeder Geschichte offenbart er die Diskrepanz zwischen den körperlichen, finanziellen und intellektuellen Grenzen der armen Idioten und den unendlich vielen Verlockungen, die noch auf sie warten. Sie erscheinen als das, was sie sind: bedauernswerte Geschöpfe. Ihre Hipness wird zur lächerlichen Pose, das Leben zu einem großen Zucken, ausgelöst durch den unablässig fließenden Reizstrom der Mediengesellschaft. Am Ende macht sich große Müdigkeit breit. Die Helden des Informationszeitalters hängen in den Seilen, ausgeknockt bis zum nächsten Schlagabtausch.

Gewiss kennt Matthias Eckoldt, der im Jahr 2000 mit dem Roman „Moment of Excellence“ debütierte und sich 2007 mit einem theoretischen Werk über die „Macht der Medien“ zu Wort meldete, die Identität stiftenden Verlockungen der Lifestyle-Ideologien aus eigener Erfahrung. Sonst könnte er die idiotische Begeisterung für Handytypen, Koch- oder Einrichtungstrends nicht so überzeugend gestalten.

Und genau das ist die kritische und vielleicht auch selbstkritische Aussage seines Buchs: In jedem von uns steckt ein Topidiot, das Problem ist nur, dass wir meistens zu idiotisch sind, uns in unserer Idiotie zu erkennen.

RALPH GERSTENBERG

Matthias Eckoldt: „Topidioten. Erzählungen aus dem Reich der Verführung“. Kulturverlag Kadmos, Berlin 2009, 136 Seiten, 12,80 Euro