Wandern mit dem letzten Hippie

Mit „Old Joy“ von Kelly Reichardt beginnt das Kino 46 die Reihe „Frauen führen Regie“

Von den etwa 250 Filmemachern, deren Arbeiten auf der diesjährigen Berlinale gezeigt wurden, sind nur knapp 40 Frauen. Wie in vielen anderen Künsten ist die männliche Dominanz zumindest zahlenmäßig noch ungebrochen, und so macht es Sinn, wenn das Bremer Kommunalkino einmal den Spieß umdreht und einen dicken Programmschwerpunkt mit dem Titel „Frauen führen Regie“ setzt. In den nächsten vier Wochen werden sechs von Frauen inszenierte Filme vorgeführt, darunter einige schon gezeigte und ausgezeichnete wie „Die Perlenstickerin“ von Eléonore Faucher, der in Cannes prämiert wurde, der Gewinner des Goldenen Leoparden von Locarno „Verfolgt“ von Angelina Maccarone und die Dokumentation „Luise – Eine deutsche Muslima“ der in Bremen arbeitenden Beatrix Schwehm, die für ihn 2008 einen Grimme Preis bekam.

Die Reihe beginnt mit der Erstaufführung eines amerikanischen Independent-Films, der vor zwei Jahren beim Sundance Festival reüssierte, aber anders als solche dortigen Entdeckungen wie „Little Mrs. Sunshine“ und „Once“ kein kommerzieller Erfolg war. Dafür ist „Old Joy“ zu kontemplativ, unspektakulär und radikal. Denn die Regisseurin Kelly Reichardt verzichtet auf alle gängigen dramaturgischen Tricks des Erzählkinos. Stattdessen zeichnet sie mit der Kamera ein Stimmungsbild und arbeitet mit eher poetischen Bildern. Zwei alte Freunde, die vor Jahren der Neo-Hippie-Szene des Nordwestens angehörten, machen gemeinsam noch einmal einen Ausflug in die Wildnis von Oregon. In der Zwischenzeit haben die beiden sich in gegensätzliche Richtungen entwickelt. Mark hat sich mit den Verhältnissen arrangiert und ist kurz davor, zusammen mit seiner hochschwangeren Freundin eine Familie zu gründen, während Kurt sich immer noch haltlos treiben lässt, und ständig bekifft Jobs und Unterkünfte verliert. Der romantische Sturm und Drang der Jugend wird mit den Jahren zu einer deprimierenden Verwirrung: „Kummer ist nichts anderes als verbrauchte Freude“. Diesen Kernsatz sagt Kurt in einem seiner vielen Monologe, mit denen er versucht, den grüblerisch-schweigsamen Mark wieder in die Stimmung ihrer früheren Freundschaft zu versetzten. Aber beide spüren, wie fremd sie sich geworden sind, und dass sie einander nach diesem Ausflug vielleicht nie wieder sehen werden.

All das buchstabiert Reichardt nicht überdeutlich vor, sondern ihre Bildsprache besteht aus Naturstimmungen, kleinen Gesten und Nuancen. Und sie gehört zu den wenigen amerikanischen Filmemachern, die keine Angst vor der Stille haben. Über lange Sequenzen hin hört man nur Naturgeräusche und bekommt die Zeit, sich in die tiefe, nasse, schwermütige Landschaft des amerikanischen Nordwestens zu versenken. Diese Wildnis wirkt im Kino eigentlich immer bedrohlich. Hier lauern die Bären, Hexen oder Serienmörder und Reichardt spielt mit diesen Erwartungen. Einige Situationen sind so ambivalent, dass der Film doch noch in ein Drama umzukippen scheint, aber stattdessen gibt es für die beiden in einem mitten in Wald gelegenen Bad mit heißen Quellen einen perfekten Moment des Aufgehens in der Natur. Mit 76 Minuten hat „Old Joy“ die seinem konsequenten Minimalismus angemessene Länge, und es empfiehlt sich, auch den Abspann bis zuletzt anzusehen, denn dort findet sich der zugegeben einzige Lacher des Films: Die Besitzer des Waldbades legen Wert darauf, dass anders als im Film gezeigt „Nacktheit und Drogenkonsum“ bei ihnen nicht vorkommen würden. Die Freuden von einst sind passé. WILFRIED HIPPEN