Geheilt, um zu töten

Das Deutsche Hygiene-Museum Dresden widmet sich den Verflechtungen von „Krieg und Medizin“. Verharmlosend ist die Schau nicht, obwohl das Kriegführen als anthropologische Konstante erscheint

VON ROBERT SCHRÖPFER

Wann immer in Zeiten von Bundeswehr-Kampfeinsätzen der Zusammenhang von Wissenschaft und Militär verhandelt wird, ist Skepsis angebracht. Zu leicht wird Technik ästhetisiert, zu schnell drängt sich die Faszination fürs Detail vor grundsätzliche Analyse und Kritik. Der Ausstellung „Krieg und Medizin“ im Deutschen Hygiene-Museum Dresden sind solche Vorwürfe nicht zu machen, auch wenn die Verantwortlichen bei der begleitenden Pressekonferenz seltsam viel Mühe darauf verwendeten, nicht umgekehrt unter Pazifismusverdacht zu geraten.

Der Afghanistan-Einsatz, die Debatte über Truppenerhöhungen und zum Eröffnungswochenende auch noch der Nato-Gipfel: Den Ausstellungsmachern sei durchaus bewusst, dass sie sich in einem politisch brisanten Umfeld bewegen, betonte Museumschef Klaus Vogel. Die Legitimität von Kampfeinsätzen zu klären sei aber Sache der Öffentlichkeit und des Parlaments. Die Präsentation solle weder pazifistisch noch bellizistisch sein. Es gehe darum, „Wissen zu vermitteln und die Diskussion zu fördern“.

Die Dresdner Kuratorin Colleen Schmitz und ihr britischer Kollege James Peto von der Londoner Wellcome Collection, von der die Ausstellung mit zahlreichen Veränderungen und Ergänzungen übernommen wurde, berichteten von der Kooperation unabhängiger Experten, aber auch der britischen Armee bei Vor-Ort-Recherchen in Afghanistan und von Leihgaben des Militärhistorischen Museums Dresden, das eine Einrichtung der Bundeswehr ist.

In Dresden zu sehen ist nun eine Auseinandersetzung mit 150 Jahren Verflechtungen von Medizin und Militär, die sich Grausamkeiten und „Wahnsinn des Krieges“, so eine Zwischenüberschrift, weder zu benennen noch zu zeigen scheut. In drei Abteilungen gegliedert, wird dabei nicht chronologisch vorgegangen, sondern werden zunächst der „Apparat“ und seine Perfektionierung dargestellt, um dann dessen Wirkungen auf „Körper“ und „Psyche“ aufzuzeigen. Von Beginn an, daran lässt die Ausstellung keinen Zweifel, ist das moderne Sanitätswesen nicht allein auf altruistische Motive gegründet, militärstrategische Erwägungen spielen eine mindestens genauso große Rolle.

Ob der deutsche Arzt Ernst von Bergmann, der Franzose Dominique-Jean Larrey oder die Krankenschwester Florence Nightingale, die unter dem Eindruck des Krimkriegs in den 1850er-Jahren zur Begründerin der modernen Verwundetenversorgung in Großbritannien avancierte, ob transportable Lazarette oder sogenannte Liebesgaben wie ein Weihnachtsbaum für Stalingrad: Ziel der Militärmedizin ist die Wiederherstellung der Kampfbereitschaft Verwundeter und damit auch der Fähigkeit zu töten. Medizinische Forschung in Kriegszeiten verbessert nicht nur den Schutz von Soldaten, sondern auch die Effizienz der Tötungstechnologien.

Die Auswirkungen dieser Logik auf den Menschen unterstreichen die Abteilungen „Körper“ und „Psyche“ mit der nüchternen und schonungslosen Präsentation von Exponaten, die von selbst eine emotionale Wirkung entfalten. Auf Filmaufnahmen von Musterungen und Aufklärungsplakaten etwa zur Sexualhygiene von Soldaten folgen Präparate der Organe von Getöteten: ein durchschossener Brustkorb, ein von einem Schrapnell zerstörtes Rückgrat, eine unter Frost abgestorbene Ferse, ein Magen, ein Gehirn. Antikriegsbilder von Otto Dix und Conrad Felixmüller stehen neben zeitgenössischen Arbeiten. Ein Foto zeigt die Hochzeit eines US-Marines und seiner unversehrten Braut. Bei einem Anschlag im Irak wurde sein Kopf so stark verletzt, dass er zum Teil mit Kunststoff nachgebildet werden musste.

Fotos von Soldaten wie Zivilisten mit Gesichts- und Kopfverbänden aus beiden Weltkriegen, Musterkoffer mit Augenprothesen, chirurgische Bestecke, Verwundete auf Bahren in Vietnam, beim D-Day in der Normandie und an der deutschen „Alpenfront“: Wenn der Ausstellung neben der Überfülle von Objekten tatsächlich etwas vorzuwerfen ist, dann sicher nicht Verharmlosung. Krieg wird als etwas Unerträgliches gezeigt, dem zudem eine anteilig steigende Zahl von Zivilisten zum Opfer fällt. Vielmehr neigt die Schau zur Anthropologisierung. Herausgelöst aus den historischen Kontexten erscheinen Kriege als quasi naturgegebene, dem Menschen wesenseigene Phänomene und nicht als Folge gescheiterter politischer Prozesse.

Wenn Verantwortung und Entscheidungsspielräume aufgezeigt werden, dann stets immanent, dafür jedoch in aller Deutlichkeit. Der Epilog etwa versammelt Gesichter und Ichberichte von zivilen Opfern, auch Kindern, aus Exjugoslawien, Kambodscha, Angola und Afghanistan, die durch Tretminen ein Bein, die Hand, gar beides verloren haben. Und auf einer Videowand mit einem Dutzend Dokumentationen über „Lost children“ oder „Frauen im Kongo“ finden am Ende auch Mediziner ohne Uniform und Vertreter von Hilfsorganisationen Beachtung, die nicht in die Militärmaschinerie eingespannt sind.

Bis 9. 8., Hygiene-Museum Dresden, Di.–So. 10–18 Uhr; Katalog 24,90 €