Ich wusste, jetzt sind wir alle tot

„Die Widerständigen – Zeugen der Weißen Rose“ von Katrin Seybold findet einen neuen Zugang zur Geschichte

Zumindest kulturell und akademisch bewältigen wir Deutschen unsere Vergangenheit mit der uns auferlegten Gründlichkeit. Inzwischen scheint alles doppelt und dreifach untersucht, dokumentiert und erzählt worden zu sein, und gerade der Widerstand gegen das Naziregime wurde schon längst zum antifaschistischen Mythos überhöht, weil die „Weiße Rose“ solch ein seltenes Gewächs war und wohl auch heute noch wäre. Warum also noch ein Film über die Widerstandsarbeit der Münchener Studenten? Ein Grund wird gleich vom ersten Bild an offenbar. Die Filmemacherin Katrin Seybold hat alle noch lebenden Zeitzeugen interviewt, und während diese Freunde und Mitstreiter der Gebrüder Scholl heute als alte Menschen vor der Kamera stehen, bleiben die Scholls auf den Fotos ewig jung.

Das Kino sieht immer dem Tod ein wenig bei der Arbeit zu, und hier wird deutlich, wie viel Leben Sophie und Hans Scholl damals genommen wurde. Es sind gute Gesichter, die da ganz konventionell als talking heads in die Kamera sprechen, und die Filmemacherin war wohlberaten darin, hier nicht bemüht Filmkunst zu produzieren, sondern stattdessen diesen Menschen mit einer angemessenen Demut Raum zu geben, ihre Geschichten zu erzählen. Katrin Seybold verzichtete auch bewusst auf all die historischen Filmausschnitte, die für gewöhnlich als Augenfutter in solche Geschichtsdokumentationen gestopft werden. Stattdessen zeigt sie Schwarzweiß-Fotografien aus jener Zeit, die meisten davon Privataufnahmen, die aus den Fotoalben der Erzählenden stammen.

Interessant ist dabei auch die Perspektive, denn jeder Einzelne erzählt natürlich in erster Linie seine Geschichte, in der er oder sie die Hauptrolle spielen. So verlieren die Scholl-Geschwister ihren monumentalen Heldenstatus und man lernt sie als Menschen kennen, die (wie es ihre Schwester Elisabeth Hartnagel schildert) nachts vor Angst nur noch in einem Bett aneinander geschmiegt schlafen konnten. Sie erkannten genau, in was für eine Gefahr sie sich begaben, und auch die Mitglieder ihrer Gruppe waren sich klar um das Risiko, das sie eingingen. „Ich wusste, jetzt sind wir alle tot“ beschrieb Susanne Zeller-Hirze ihre Reaktion, als sie zum ersten Mal eines der Flugblätter der Gruppe in den Händen hielt. Wie gut die Gruppe organisiert war und dass ihre Aktionen durchaus von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden, wird durch solche Details deutlich, wie die damals sehr hohe Summe von 1.000 Reichsmark, die für eine Vervielfältigungsmaschine geliehen wurde oder das Gerede von Passanten in einer Straßenbahn, das eine der Zeuginnen aufschnappte.

Die Zeitzeugen erzählen immer konkret und sehr lebendig, wodurch ihre Schilderungen eindrucksvoller wirken als jede noch so guten Fiktionalisierung es könnte. Schließlich sieht man an den Kreuzen hinter den Namen einiger der vierzehn Befragten, dass es höchste Zeit für diesen Film war, der so zugleich ein wichtiges Dokument und eine sehenswerte Dokumentation ist.

WILFRIED HIPPEN