Die falsche Rolle für Lotfi

IDENTITÄT Die Frauen, die Eifersucht und der Heilige Krieg. Der tunesische Regisseur Nouri Bouzid versucht in „Making of – Kamikaze“ den Weg eines jungen arabischen Mannes in den Terrorismus nachzuzeichnen

Der Weg führt von der Straße weg, in eine halb konspirative Werkstätte

VON BERT REBHANDL

„Die Straße gehört uns“, ruft der junge Tunesier Bahta. Die Straße gehört den jungen Leuten, den Breakdancern, den Sprayern, denen, die sich irgendwie durchschlagen. Bahta hat sein Abitur verbockt, jetzt lebt er in den Tag hinein. In Unterführungen zeigt er vor dem Rudel der Halbwüchsigen, das ihn immer umgibt, akrobatische Übungen, dann wieder entwendet er seinem Cousin dessen Polizeiuniform und macht sich in aller Öffentlichkeit über die Ordnungshüter lustig. Aber wenn er nachts einmal mit sich allein ist, dann schreit er seine Selbstzweifel laut hinaus: „Ich bin ein Mann.“

Dabei ist es alles andere als leicht, in einem Land wie Tunesien ein Mann zu sein. Denn es gibt viele verschiedene Vorstellungen davon, was das heißt, und alle beziehen sich in irgendeiner Form auf den Islam, die gemeinsame Religion.

Der Islam – oder die arabische Welt, was nicht nur in der Logik dieses Films dasselbe ist – ist in der Defensive. Durch den Krieg im Irak ist eine ganze Kultur gedemütigt worden, und es hat durchaus Symbolkraft, wenn der tunesische Regisseur Nouri Bouzid seinen jugendlichen Helden an einer Stelle sagen lässt: „Wir sind Kinder der Ruinen.“ Es ist ein prototypischer Identitätsfindungsprozess, der in „Making of – Kamikaze“ erzählt wird. Der Weg führt von der Straße weg in eine halb konspirative Werkstätte, wo Bahta von einem älteren Mann nicht nur in der Kunst der Steinmetze unterwiesen wird, sondern auch eine strenge Version der muslimischen Lehre präsentiert bekommt. Die Frauen sind nach Meinung seines Lehrers an allem schuld. Bahta ist für diese Botschaft empfänglich, denn er ist ständig eifersüchtig auf seine Freundin Souad, die eine Künstlerin werden möchte.

Bald ist Bahta so weit, dass er „mit Auszeichnung“ ins Paradies kommen möchte. Die erste Tat, die er sich dafür auferlegt, ist die Züchtigung seiner früheren Freundin, die er nun für eine Ehebrecherin hält.

Nouri Bouzid versucht in „Making of – Kamikaze“ herauszufinden, wie muslimische Männer zu Mördern werden. Er bedient sich dazu einer selbstreflexiven Methode, denn der Filmtitel ist doppeldeutig zu verstehen: Hier wird nicht nur gezeigt, wie ein Selbstmordattentäter „gemacht“ wird, sondern der Film selbst bezieht seine eigene Entstehung mit ein. Mehrfach fällt Bahta aus der Rolle und droht, die Dreharbeiten abzubrechen. Er heißt eigentlich Lotfi und ist tatsächlich der Breakdancer, mit dem die Geschichte beginnt. Er war sich aber nicht im Klaren darüber, dass der Regisseur ihn später als einen Terroristen zeigen möchte.

Und so wird in diesen „Making of“-Passagen der Regisseur selbst zu Stellungnahmen provoziert. Er muss seinem Darsteller erklären, dass es ihm nicht darum geht, den Islam zu diskreditieren. Bezeichnenderweise verfällt Nouri Bouzid dabei mehrmals ins Französische, er gibt damit zu erkennen, dass er beiden Kulturkreisen angehört, dem arabischen und dem westlichen. Seine Position ist die eines Intellektuellen, während Lotfi mit seiner Rolle hadert und irgendwann ausruft: „Dein Film ist ein Monster.“ Das stimmt so allerdings nicht, denn „Making of – Kamikaze“ versammelt einfach viele der wesentlichen Motive, die in der Definition des Dschihad eine Rolle spielen, und bettet sie in eine Erzählhandlung ein, die eher auf das Repräsentative zielt als auf individuelle Nuancen. Lotfi ist eine Figur mit Leib und Seele, die im Lauf des Films immer mehr zu einem Stellvertreter in einem geopolitischen Konflikt wird. „Making of – Kamikaze“ wird dadurch zu einem zunehmend vorhersehbaren Spielfilm, der als Dokumentarfilm über Lotfi vermutlich sogar noch spannender und präziser hätte sein können.

■ „Making of – Kamikaze“. Regie: Nouri Bouzid. Tunesien/Marokko/Frankreich/Deutschland 2007, 115 Min. Ab 11. 6. täglich im Eiszeit Kino