Trotz allem nicht unzufrieden

Die Philippinen sind im Grunde ein feudalistische Land in der Art des vorrevolutionären Europa, in dem es aber Breitbandinternet, Sports Utility Vehicles und Shoppingmalls mit Luis-Vuitton-Flagship-Stores gibt. Und wo das Ausbeuten nicht von Adligen, sondern von einer alteingesessen Oberklasse mit spanischen Nachnamen übernommen wird, die die Ausbeutung mit einer Gründlichkeit betreiben, dass „Oliver Twist“ dagegen wie ein Märchen aus einem Sozialstaat wirkt.

In den Philippinen lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung von weniger als 50 Euro-Cents pro Tag. Aber wenn ich mir die Leute auf der Straße angucke, sehe ich wesentlich weniger genervte, lange Frustgesichter als in Berlin auf der Friedrichstraße. Die Leute demonstrieren eine Ruhe und Ausgeglichenheit im Angesicht schier unerträglicher Widrigkeiten, bei denen so mancher Europäer schon lange Amok gelaufen wäre.

In Manila läuft niemand Amok, weil die Luft verschmutzt, der Verkehr schier unerträglich oder die Regierung aktenkundig korrupt ist. Oder weil es schlicht und einfach viel zu heiß ist. In Manila, wie im Rest der Philippinen, läuft man Amok, wenn die persönliche Würde verletzt wird, und das scheint letztlich doch relativ selten zu passieren, wenn man den lokalen Zeitungen glauben darf. Natürlich, da ist der Mann, der seiner geschwätzigen Nachbarin ein Stück Bambus durch die Augen treibt, weil sie ihn vor anderen ausgeschimpft hat. Oder der Fahrer, der seine Herrschaft mit der Nagelpistole auf dem Fußboden festhämmert und dann das Dienstmädchen vergewaltigt, weil er sich herablassend behandelt fühlt. Aber das scheinen doch eher Ausnahmen zu sein.

Wie dem auch sei: Die Filipinos um mich herum wirken nicht unzufrieden. Selbst der Fahrer der Motorrikscha, der jeden Tag in denselben Klamotten an der Ecke sitzt, strahlt mich mit einem Lächeln an, dass man ihn sofort als Trainer bei der BVG empfehlen möchte. Dabei weiß auch er nicht, was der nächste Tag bringt. Soziale Absicherung gibt es nicht, also bloß nicht krank werden.

Vielleicht haben die Filipinos einfach schon zu viele Revolutionen und politische Hoffnungsträger kommen und versagen sehen, um noch daran zu glauben, dass sich für sie jemals etwas ändern könnte. Manchmal erinnern mich die Philippinen an die späte DDR. Die meisten Leute haben aufgehört, an einen Fortschritt zu glauben, der sie selbst irgendwann einmal mitreißt. Oder daran, dass sich überhaupt noch mal was für einen tun könnte. Und dann haben sie sich in dem, was für sie erreichbar ist, eingerichtet.

TILMAN BAUMGÄRTEL