ROCHE UND HOCKNEY
: Glück des Teilens

Höre ich „Kultur“, ziehe ich mein Scheckbuch

Iiii, der Zeitgeist! Manchmal huschte der so durch den Raum. Holger bekam jedes Mal einen Riesenschreck. Er hatte die Videokassette mit Godards durch hundertfaches Abspielen entstellten Verfilmung von Alberto Moravias „Die Verachtung“ eingelegt.

An der Stelle, wo Jack Palance seine hübsche, aber traurige Assistentin vornüberbeugt und als Schreibunterlage benutzt, während er den Göring-Spruch variiert – „Höre ich ‚Kultur‘, ziehe ich mein Scheckbuch (statt: den Browning)“ – da tauchte das gestrige Gespräch auf wie Berggipfel aus Nebelschwaden.

Holger drückte die Stopptaste und der Fernseher ging automatisch auf Sendung mit „Inas Norden“, live aus einer Schifferkneipe am Hamburger Hafen, Shanty-Chor und Echtzeitkochen mit Kolja Kleeberg inklusive. Beinahe der Todestoß für Holgers Mnemosyne. Erst als er auch die Glotze ausschaltete, kam die Erinnerung zurück.

Noch einmal um Charlotte Roches Millionenbestseller war es gegangen, angestoßen durch die Ankündigung, Roche würde bald den langsam vergreisenden Talker Giovanni di Lorenzo bei „3 nach 9“ unterstützen, was für eine Nachricht! Zwischen den Piatti hatte Bärbel das achtlos in die Runde geworfen. Sofort war wieder eine Diskussion losgegangen über das Substanzielle der Kunst und ihre dunkle Seite, das Marketing. Alfies Einwand, Marketing sei immer nur der mehr oder weniger gelungene Versuch, die Gegenwartsrelevanz eines Werkes herauszukitzeln, hatte durchaus Potenzial. Holger nippte an seinem Barolo. Dann wiederholte er für sich, was David Hockney einmal über den Mehrwert imaginativer Malerei gegenüber der Fotografie gesagt hatte. Eine Zeichnung oder ein Gemälde konnte die Erfahrung mit größerer Lebendigkeit erzählen. Darum ging es für Hockney in der Kunst: um das Glück des Teilens einer als einzigartig empfundenen Erfahrung. SASCHA JOSUWEIT