AUSGEHEN UND RUMSTEHEN VON RENÉ HAMANN
: Nur Agitprop und Kaufmannslust

DIE DOLPHINS AUF DEM WEG NACH OBEN, DIE POLITISCHEN AUF DEM WEG IN DIE IDIOSYNKRASIE UND DER AUTOR AUF DEM WEG ZUM SOFA

Damit hatten sie nicht gerechnet. Das Licht war gedimmt, die Stühle standen schon auf den Tischen, und die restlichen Stammgäste saßen friedlich am Tresen und schauten sich eine Musikdoku auf DVD auf der Leinwand an. Über die Monks. Da stürmten nach und nach immer mehr neue Gäste das Dave Lombardo, Samstagnacht, zirka 4 Uhr. Der Zentrale-Randlage-Abend im Foyer des Praters war zu Ende, für das Absackerbier war die Lieblingsbar am Zionskirchplatz auserkoren, und die Bedienungen wollten nicht unfreundlich sein und servierten noch eine letzte Runde. Prost! Berlin ist erst wieder schön, wenn die Sonne aufgeht.

Im Prater vorher waren alle da; alle Freunde und Freundinnen, die sich rund um die Neo-Postrock-Band The Dolphins gruppieren. Die Dolphins spielten ihr bislang bestes Set. Und dies ist wohl ihr erster Auftritt in der Weltpresse, auch wenn es nur die Lokalseite im Berlinteil ist. Ja, schamlose Werbung für Freunde, der Ruhm kann jetzt ausgebaut werden.

Gut abgelauscht

Das Set jedenfalls bestach durch gut abgelauschte Tortoise- und Sonic-Youth-Elemente, teilweise auf drei Gitarren gespielt, nur die Nummer mit dem spanischen Gastsänger, der sich beim Singen selbst die Ohren zuhalten musste, war, sagen wir, speziell. Aber auch das kann noch werden. Nach den Dolphins spielten Lonski & Classen, ein besonders in Wohnzimmermusikzusammenhängen bekanntes Duo, Schlagzeug und Gitarre, wuchtig, kreisend, englische Texte, manchmal zu viel Radiohead, aber insgesamt ganz gut. Das Praterfoyer war überraschend voll, auch wenn die meisten Leute entweder Überbleibsel aus dem Vorabendprogramm waren (der Schauspieler Lars Rudolph hatte Musik gemacht) oder sich schön gleichmäßig auf den Bänken im Innenraum oder auf die regennasse Straße zum Rauchen verteilten. Es war ein gelungener Abend. Dabei hatte ich am Anfang der Nacht keine rechte Lust gehabt. Das Sofa gab sich so verlockend. Am Ende der Nacht, mit dem letzten Bier in der Hand und der letzten erschnorrten Zigarette, während mir eine charmante Lehrerin von Aufklärungsunterricht erzählte, war ich ganz froh, es rausgeschafft zu haben.

Am entsprechend verkaterten Samstag fand unten auf meiner Straße ein Straßenfest statt. Fresswerk, Kuchen, Bierbänke, fassweise Bier und schlechte Musik von tatsächlichen und ehemaligen Jugendlichen auf einer Bühne. Wie Myfest in klein. Dazu gab es Infostände der sich hier angesiedelt habenden politischen Gruppierungen. Die auch wesentlich für die Organisation des Fests verantwortlich zeichneten.

Keine Spiele, keine Lesung

Leider wurden die restlichen Anwohner nicht abgeholt. Es gab keine Lesung, kein Konzert der singenden Nachbarin, keine Tanzdarbietungen und nur einen Stand mit tinnefartiger Kunst, irgendetwas Türkisches gab es auch nicht, ja, es gab nicht einmal Spiele für die Kleinsten. Nur Agitprop und Kaufmannslust. Neue Nachbarn kennengelernt? Nein, keine. Aber das muss vielleicht auch nicht sein – man lebt ja nicht umsonst in einer Großstadt. Zum Abschluss des Fests übten sich die Politischen, da sie nun schon einmal da waren, in einer spontanen Straßenblockade. Der 140er kam jedenfalls so lange nicht um die Ecke, bis die Polizei da war.

Im Hintergrund knallte es schön vom Flughafen her. Nicht dass da etwas besetzt wurde. Nein, Pyromanen tobten sich aus. Fast friedlich war es dagegen am Engelbecken. Die schattenhaften Fassaden der Neubauten gegenüber spiegelten sich im schimmernden Wasser. Ein letztes Gespräch mit Zigarette, dann siegte endlich das Sofa.