Fluchtwege aus der Echokammer

TECHNO Moritz von Oswalds Trio-Projekt bringt elektronische Musik mit dem freien Spiel des Jazz zusammen

Jazz mag Moritz von Oswalds Lehrer gewesen sein, die Lehre ist der Dub, und zwar als Methode, nicht als Klang

VON CHRISTIAN WERTHSCHULTE

Vom Whitelabel zum Coverstar – der Berliner Moritz von Oswald hat eine lange Karriere hinter sich. Seit den frühen 90ern prägen seine Veröffentlichungen mit Mark Ernestus die Elektronikszene und waren dabei immer mehr als nur Musik zur Zeit. Ernestus und von Oswald verkörperten den DIY-Modus, den Abschied vom Modell „Rockstar“: Auf ihren Platten gab es weder Titel noch verfremdete Pressefotos, was zählte, war eine möglichst selbstbestimmte Produktion.

Prägendes Hörerlebnis

Genau in dem Moment jedoch, in dem die Arbeit in der Anonymität auch als Stricken am eigenen Mythos missverstanden werden konnte, trat die Person Moritz von Oswald in den Vordergrund. In Interviews erzählte er etwa von prägenden Hörerlebnissen bei den Salzburger Festspielen. Das englische Magazin The Wire widmete ihm kürzlich eine Titelgeschichte und inszenierte den puristischen Musiker in dandyesker Pose in seiner Wohnung.

Dennoch folgt von Oswald einer eigenen Logik. Je mehr sein Gesicht in der Öffentlichkeit präsent ist, desto uneindeutiger werden seine stilistischen Wendungen. Schon bevor der am Konservatorium studierte Schlagzeuger letztes Jahr zusammen mit dem US-Produzenten Carl Craig Aufnahmen von Ravel- und Mussorgski-Werken remixte, zeigte er sich von der Akustik in Orchestersälen beeindruckt. Ein schönes Bild – fast schon klischeehaft, aber dennoch treffend: Moritz von Oswald erforscht Klangräume.

Und das ist keineswegs nur metaphorisch gemeint. Seine Leidenschaft für Dubreggae entdeckte er bei der Arbeit in einem Plattenladen, daraus entstehen Wiederveröffentlichungen und Kollaborationen mit jamaikanischen Sängern für das eigene Dubprojekt Rhythm & Sound.

Klarheit und Deepness

Auch Detroit, der andere Pol seiner Musik, bleibt kein dunkler Fleck auf der Landkarte. Mark Ernestus und er lassen ihre ersten Veröffentlichungen als Basic Channel, die den postindustriellen Techno Berlins um Dubsprengsel anreichern, in Detroit mastern und pressen, bevor sie ein Fehler im Presswerk dazu motiviert, auch dies in die eigene Hand zu nehmen. „Dubplates & Mastering“ heißt dieser Betrieb und er befindet sich im gleichen Kreuzberger Hinterhaus wie der von Ernestus betriebene Plattenladen „Hardwax“: Eine Anlaufstelle für nachfolgende Generationen von Produzenten, die ihre Platten in den Händen des Vorbilds sehen wollen, um ihren Hallfahnen die gleiche Mischung aus digitaler Klarheit und körperlicher Deepness zu verleihen.

Doch von Oswald interessiert dies kaum. Sich von seinen Epigonen zu distanzieren, gehört zum kleinen Einmaleins künstlerischen Pioniertums. Aber hier scheint nicht die leere Abgrenzungsgeste im Mittelpunkt zu stehen, sondern das schlichte Interesse an neuen, ihm unbekannten Klangwelten. Den Blick auf Dubtechno, das Genre, das er selbst geprägt hat, zu richten, würde dabei nur ablenken. Von Oswald zitiert sorgfältig. Jeder neu entdeckte Klangraum wird von ihm genau erkundet, bevor er ihn in seinen Sound integriert. Nicht umsonst bezeichnet er seine Remixe als „Re-Work“ – das Durcharbeiten des Materials geht dem Nacharbeiten voraus. Nur so lässt sich der szenenübergreifende Respekt für seine Musik erklären, und all dies unterscheidet ihn auch von denjenigen, die Clubs wie das Berghain besuchen und dort nur den Widerhall ihrer erfundenen Traditionen vom grünen Hügel herüberschallen hören. Für von Oswald ist jeder neue Klangraum auch ein Ausweg aus der Echokammer.

So auch sein neues Album „Vertical Ascent“, das unter dem Namen Moritz von Oswald Trio entstanden ist. „Trio“ – das erinnert an vergangene Jazz-Zeiten, Improvisationen an Klavier und Saxofon, besonders aber an einen charismatischen, expressiven Bandleader. Was einem gar nicht in den Sinn kommen mag, wenn man von Oswald konzentriert und jedes Wort abwägend über seine Musik sprechen hört. Auch sein Trio ist ein weiterer Knoten im gewachsenem subkulturellen Netzwerk. Mit Max Loderbauer arbeitete er bereits Anfang der 90er zusammen, Drummer Sasu Ripatti veröffentlichte seine frühen Tracks unter dem Pseudonym Vladislav Delay auf Chain Reaction, dem gemeinsamen Label mit Mark Ernestus. Und Honest Jons, das Londoner Label des Trios, lässt seine Wiederveröffentlichungen seltener Musik aus Afrika oder der Karibik in Berlin bei Dubplate & Mastering mastern. It’s a family affair.

Freies Zusammenspiel

Dennoch markiert das Debütalbum „Vertical Ascent“ einen Bruch. Denn während von Oswalds bisherige Veröffentlichungen der Logik der Version folgten, bei der ein abgeschlossener Track zugleich einen Bezugspunkt für Neubearbeitungen darstellen kann, wirken die Stücke des Trios hermetisch und vollkommen ausufernd. In langen Sessions improvisierten die drei Musiker – Loderbauer am selbst zusammengestellten Modularsynthesizer, Ripatti an einem Drumkit, das größtenteils aus handgefertigten Unikaten besteht. Trotzdem prägen nicht die Instrumente, sondern die Freiheit im Zusammenspiel diese Musik. Fast so, als wollten die Musiker einen Kontrapunkt zur allgegenwärtigen Schizophonie im Stellungskrieg der Digitalformate setzen. Hier geht es um die Momente des Miteinanderspielens. Selbst wenn sie als Spuren in Moritz von Oswalds Mischpult zusammenlaufen, verdoppelt und neu auf der Zeitleiste verteilt werden. Jazz mag der Lehrer gewesen sein, die Lehre ist der Dub. Und zwar als Methode, nicht als Klang. Ripattis metallisch klingendes Drumkit dominiert das Album, wird von in hohen Frequenzen flirrenden Synthesizern verstärkt und nur vereinzelt von einem subsonischen Bass durchbrochen. Und selbst wo karibische Rhythmen wie der Calypso aufflackern, bleiben sie rhythmische Struktur, werden niemals zum vollwertigen Zitat. Nie zuvor klang Moritz von Oswalds Musik so vollkommen präsent und bleibt dennoch so wenig greifbar. „Vertical Ascent“ ist sein musikalisches Whitelabel.

■ Moritz von Oswald Trio „Vertical Ascent“ (Honest Jons/Rough Trade)