Åsa Larsson über Krimis: "Wie ein Hund mit seinem Knochen"

Dass sie so grausame Geschichten schreibe, habe nichts mit ihrer Körpergröße zu tun, sagt Åsa Larsson, schwedische Bestsellerautorin. Eher mit der Schreibzeit zwischen vier und sieben Uhr morgens.

Åsa Larsson: "Ich hatte es ja so satt, immer nur mit den anderen Müttern Gespräche über wunde Babypopos zu führen." Bild: screenshot/asa-larsson.de

taz: Frau Larsson, welche Frage bekommen Sie eigentlich am häufigsten zuerst gestellt?

Åsa Larsson: Das kommt darauf an, ob Journalisten oder normale Menschen sie stellen. Eine häufige persönliche Frage ist: Wie kann eine Person, die so klein ist, so schreckliche Geschichten schreiben? Als ob die Körpergröße etwas damit zu tun hätte! Und die klassische Journalistenfrage ist: Warum gibt es das schwedische Krimiphänomen? - Aber wie sollte ich darauf antworten? Ich bin nur Autorin, keine Genrespezialistin.

Wie wurden Sie zur Autorin?

Åsa Larsson ist eine der herausragenden KrimiautorInnen Schwedens. Die gelernte Steueranwältin wurde zur hauptberuflichen Schriftstellerin, nachdem "Sonnensturm", ihr erster Roman, 2003 erschienen war. Er verkaufte sich allein in Schweden (9 Mio. Einwohner) über 350.000mal und war der erste Teil einer auf sechs Romane angelegten Serie um die Steueranwältin Rebecka Martinsson, die Stockholm den Rücken kehrt, um als Staatsanwältin im nordschwedischen Tornedal zu arbeiten. "Sonnensturm" wurde bereits verfilmt und auch im deutschen Fernsehen gezeigt. "Bis dein Zorn sich legt" (Bertelsmann, München 2009, 352 S., 19,95 €) ist als vierter Rebecka-Martinsson-Roman erschienen.

Alles begann, als ich nach der Geburt meines ersten Kindes einen Kurs für kreatives Schreiben belegte. Mit einem Baby hört die gewohnte Routine auf; man steht nicht mehr morgens auf, um zu duschen, Kaffee zu trinken und ab halb zehn im Büro zu sitzen. Es war für mich eine Zeit, die man als Krise bezeichnen könnte, wenn das nicht so negativ formuliert wäre. Ich würde es eher eine Entwicklungsphase nennen, ähnlich wie bei Kindern.

Aber Sie haben wahrscheinlich nicht gleich angefangen, einen Roman zu schreiben?

Als ich mit dem Kurs anfing, stand zuerst dieses totale Glücksgefühl im Vordergrund, dieser Strom der Freude, der hier durchging (fährt mit der Hand von den Fingerspitzen bis zur Schulter hinauf). Damals habe ich begonnen, mir permanent Notizen auf kleine Zettel zu machen. Schließlich kann man gut nachdenken, während man die Wäsche sortiert. Sobald ich später etwas Zeit hatte, habe ich geschrieben wie verrückt.

Und richtig schreiben konnten Sie nur, wenn das Baby schlief?

Nein, ich hatte einen großartigen Partner. Wenn ich zu Per sagte, so, jetzt brauche ich eine Stunde Ruhe, dann hat er die Kinder von mir ferngehalten. Als ich zu schreiben anfing, war ich wie ein Hund mit seinem Knochen; ich war in meinem ganzen Leben noch nie so entschlossen gewesen, etwas zu tun.

Arbeiten Sie denn immer noch so?

Nein, jetzt bin ich Vollzeit-Autorin und kann mich vom Schreiben ernähren; das ist ein überprivilegiertes Leben. Trotzdem fühle auch ich mich manchmal überfordert. Es gilt so vieles zu erledigen, so viele Bücher zu lesen. Außerdem habe ich mich von meinem Partner getrennt und bin umgezogen - das war alles ziemlich viel Veränderung. Darum bin ich oft gleichzeitig mit den Kindern ins Bett gegangen, als ich an diesem letzten Buch schrieb, zwischen neun und zehn Uhr abends, um dann zwischen drei und vier wieder aufzustehen. Dann schrieb ich bis sieben, bis ich die Kinder wecken musste. Diese Zeit mitten in der Nacht ist sehr gut zum Schreiben. Das Telefon klingelt nicht, niemand stört einen. Und wach zu sein, während alle anderen schlafen, bringt einen in eine ganz besondere Stimmung.

Und woher kam die Idee zu Ihrem ersten Roman?

Während eines Besuchs bei einer alten Freundin in Kiruna sah ich ein Bild von ihrem ältesten Sohn, Fredrik, der ein kleiner Junge gewesen war, als ich noch dort lebte. Auf dem Foto war er ein junger Mann. Auf einmal hatte ich dieses starke Empfinden, wie schnell die Zeit vergeht. Wohin sind die Jahre gegangen - dieser kleine Junge ist jetzt so groß! Er hatte langes blondes Lucia-Haar, und ich wusste, dass er Geige spielt, und ich dachte, mein Gott, er ist so schön, er sieht aus wie ein Heiliger. Und mein nächster Gedanke war: Er würde eine wunderschöne Leiche abgeben! Ich hatte eine Vision von diesem jungen Mann, wie er auf dem Rücken im Schnee liegt, mit diesem langen blonden Haar als einem blutgetränkten Heiligenschein um seinen Kopf. Dieses Bild kam mir einfach, und ich dachte, vielleicht ist das ja der Anfang eines Romans! Und begann weiter darum herumzuspinnen: Wer ist er? Wer hat ihn ermordet und warum? Ich begann mich mehr und mehr hineinzudenken und merkte, dass ich endlich wieder Spaß an etwas hatte. Ich hatte es ja so satt, immer nur mit den anderen Müttern Gespräche über wunde Babypopos zu führen.

Es ist eine ganz schön blutige Fantasie, der Sie in Ihrem ersten Roman freien Lauf lassen.

Es war doch auch mein erster! Und es ist sooo lange her! (lacht) All das gehörte einfach zu der Geschichte, die ich erzählen wollte. Nehmen wir das Alte Testament. Meine Mutter sagt immer, es ist das größte Psychologiebuch aller Zeiten. Und gleichzeitig ist es das gewalttätigste Buch überhaupt - es handelt fast nur von Rache und Blutvergießen. Und doch liest man ja die Bibel, um erleuchtet zu werden!

Inwiefern beeinflusst es eigentlich Ihre Arbeit, dass Sie ein religiöser Mensch sind?

Natürlich zeigt sich bei mir das religiöse Erbe. Meine Großeltern sowohl mütterlicher- als auch väterlicherseits waren Laestadianer. Das ist eine sehr strenggläubige Bewegung innerhalb der protestantischen Kirche Skandinaviens, fast eine Sekte. Sie haben sehr viele religiöse Vorschriften: Frauen dürfen zum Beispiel keine Hosen tragen und ihre Haare nicht schneiden; Kinder dürfen in der Schule nicht an Lehrveranstaltungen teilnehmen, bei denen Filme gezeigt werden. - Meine Eltern wollten mit alldem nichts zu tun haben. Sie waren beide sehr links eingestellt, besonders mein Vater. Es waren meine Großeltern, die dafür sorgten, dass ich in die Sonntagsschule ging und mein Gutenachtgebet gelernt habe. Ich selbst bin als Teenager in eine Freikirche eingetreten, die ich später wieder verlassen habe.

Wie lange waren Sie dort Mitglied?

Ehrlich gesagt, ich weiß nicht mehr genau, wann ich ausgetreten bin. Aber ich war vierzehn, als ich Gott traf, sozusagen.

Das haben Sie?

Ja, wirklich. Ich erinnere mich noch genau, wo und wie es passierte: Es war an einer Straßenkreuzung. Ich blieb stehen, und der Himmel öffnete sich. - Ich glaube aber, dass sehr viele Leute diese Art von spiritueller Erfahrung machen. Die Frage ist, wie man sie interpretiert. Meine Interpretation war: Gott will mich! Ich rannte nach Hause zu meiner Mutter, die Lehrerin für Psychologie und Religion ist, und sagte: Gott hat mich gerufen, was soll ich tun? Sie sagte: Ich bin ja nicht gläubig, also frag nicht mich. Geh zu dem Pastor, bei dem du deine Konfirmation hattest, und rede mit ihm. Und das tat ich.

In Ihren ersten beiden Büchern werden sehr viele Pastoren umgebracht. War das von Anfang an Ihr Plan?

Nein. (lacht) So eine Agenda gab es nicht. Als ich mein zweites Buch schrieb, habe ich sogar lange versucht, die ermordete Frau zu einer Lehrerin oder Sozialarbeiterin zu machen. Aber es funktionierte nicht. Die Geschichte streikte einfach, bis ich sagte, okay, sie ist also Pastorin. Und da ging es weiter.

Werden alle geplanten sechs Rebecka-Martinsson-Romane im nordschwedischen Tornedal spielen?

Alle. Das ist auch so eine Sache, ohne die es momentan bei mir nicht funktioniert. Ich habe da noch einen anderen Roman - der kein Kriminalroman ist - weit hinten in meinem Kopf. Ich wollte ihn in Mariefred spielen lassen, wo ich jetzt wohne, und dachte, ach, das wird wunderbar, mit dem Mälarsee hier und all diesen Inseln, aber auch diese Geschichte kam einfach nicht vom Fleck. Also gab ich wieder auf und sagte mir, na gut, auch diese Heldin ist anscheinend aus dem Tornedal.

Was ist das für ein Roman?

Es gibt ihn noch nicht. Er ist wirklich nur hier drin (tippt sich an den Kopf). Wenn ich ihn jemals schreiben sollte, bekommt meine Verlegerin einen Anfall. Es ist erotische Science-Fiction.

Oh, bitte erzählen Sie mehr davon.

Es ist eine Geschichte, die ich meinem Freund erzählt habe. Sie handelt von einer Lüftungstechnikerin im Weltraum. Die Erde gibt es schon lange nicht mehr, aber die Heldin hat noch auf dem Planeten Erde gelebt - anders als die anderen Menschen im Weltraum. Als sie an ein Versorgungsschiff andockt, kommt es zur Begegnung mit Menschen, die ihr so fremd sind, wie es irgendwelche Aliens auch wären. Alles, was von der menschlichen Kultur dort oben übrig geblieben ist, ist chinesisch. Die Weltraum-Menschen haben alle chinesische Namen, wissen nichts über die Erde, und sie will mit ihnen eigentlich nichts zu tun haben. Daraus könnte man eine Liebesgeschichte entwickeln, die sich außerhalb der uns bekannten erotischen Normen bewegt. Wir haben eine bestimmte Art zu flirten, uns erotisch zu nähern; wie wir das tun, ist größtenteils kulturell bestimmt. Ich habe mal eine Geschichte gelesen, die im alten China spielte, als die Tradition des Füßeabbindens noch gepflegt wurde. Darin erzählt eine Chinesin, wie sie alt wird und ihre Schönheit verliert. Und trotzdem muss ihr Mann immer noch nur ihren Fuß in die Hand nehmen, um erregt zu werden. Von einem verkrüppelten Fuß erregt zu werden! - Das ist irgendwie interessant. Man kann es noch nicht als Geschichte bezeichnen, aber diese Dinge bewegen sich in meinem Kopf. Mal sehen, ob daraus etwas wird.

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