Amazone des technischen Zeitalters

GLOBALE RALLYE In „Fräulein Stinnes fährt um die Welt“ rekonstruiert Erica von Moeller die automobile Abenteuerreise einer der neuen Frauen der 20er-Jahre

Erst kommt das Auto, dann der Weg, lautete ein Motto des Autopioniers Henry Ford. Touren mit dem neuen Statussymbol waren in den 20er-Jahren eine halsbrecherische, von Pannen begleitete Unternehmung, Abenteuer pur. Ohne Straßen- und Tankstellennetz schien eine Weltreise per Automobil schier nicht menschenmöglich. Doch 1927 wollte die Industriellentochter Clärenore Stinnes beweisen, dass sie den Globus auf einer fünfundvierzigtausend Kilometer langen Strecke inklusive dreier Schiffspassagen umrunden konnte. Mehr noch: Ein Film sollte diese Reise dokumentieren. Tatsächlich brachte sie 1931 einen schwarz-weißen Dokumentarfilm in die Kinos.

Dessen historische Landschaftsaufnahmen und die Schnappschüsse von fremden Kulturen sind der Kern des Films „Fräulein Stinnes fährt um die Welt“, in dem die Regisseurin Erica von Moeller die zweijährige Abenteuerfahrt rekonstruiert. Spielszenen (Drehbuch: Sönke Lars Neuwöhner) und ein lakonischer Kommentar, der auf den Reisetagebüchern von Fräulein Stinnes wichtigstem Begleiter beruht, erzählen, wie die Expedition zusammenfand und welche Katastrophen zu bestehen waren. Die spröde liebenswürdige Persönlichkeit hinter den damaligen Image-Porträts der Clärenore Stinnes wird deutlich.

Sandra Hüller spielt das dickköpfige Fräulein wunderbar als Amazone des technischen Zeitalters und Gesellschaftsdame mit leiser Sensibilität. Ihr wichtigster Begleiter und späterer Ehemann Carl-Axel Söderström, ein gelassener Kameramann und Fotograf aus Schweden, wird von dem (leider wesentlich älteren) dänischen Schauspieler Bjarne Henriksen verkörpert. Die mitreisenden Mechaniker (Robert Beyer, Stefan Rudolf), zwei wortkarge Arbeitertypen, die über die „Schnapsideen“ der verwöhnten Unternehmertochter schimpfen, blieben ein wenig blass und geben auf, so dass nach der Hälfte des Films das aufeinander eingeschworene Paar Söderström/Stinnes seine Mutproben allein besteht. Ausgestattet mit einem „Adler Standard 6“-Automobil, einem Hilfslastwagen und reichlich Sponsorengeldern plante das umsichtige Fräulein Stinnes seine Expedition präzise. Der giftige Treibstoff Benzol wurde wegen seines höheren Energiewerts im Voraus in Depots gelagert – ein technisches und organisatorisches Problem, über das der Film sich leider ausschweigt. Die Strecke sollte durch den Balkan, die Türkei und den vorderen Orient in den Kaukasus führen, von dort durch Sibirien in die Mongolei, nach China und Japan, von Peru aus über die Anden, durch Argentinien und zum Abschluss quer durch die USA auf dem besten Straßennetz der Welt. Achtundvierzigtausend Kilometer hatte die durchtrainierte Tourenfahrerin vorgesehen, am Ende wurden daraus – samt so grandioser Umwege wie beispielsweise einer Anden-Überquerung am Seilzug – schließlich dreiundfünfzigtausend Kilometer.

Clärenore Stinnes, eine burschikose kleine Person mit Pagenkopf, Männerhemd, Krawatte und Zigarette, gehörte zu jenen „neuen Frauen“ der zwanziger Jahre, die in die männlichen Domänen einbrachen und harten Sport mit postkolonialen Eroberungsträumen verbanden. Sie wollte die Welt mit eigenen Augen sehen, anstatt zu heiraten und einem wichtigen Mann zur Seite zu stehen. Die Vatertochter des Industriellen Hugo Stinnes wurde nach dessen Tod von ihren Brüdern aus dem Konzern gedrängt. Sie machte sich von der Familie unabhängig, nutzte ihre kosmopolitischen Verbindungen und setzte als Auto-Pionierin ihren Kopf durch.

Erica von Moellers Film erzählt unterhaltsam und voller Humor von der zweijährigen Weltreise, doch der Leistungszwang der jungen Chefin vergällt dem Team den Spaß. Zeitpläne mussten eingehalten werden, die Angst vor dem sibirischen Winter trieb sie voran, Verweilen und Genießen waren ihre Sache nicht. CLAUDIA LENSSEN

■ „Fräulein Stinnes fährt um die Welt“. Regie: Erica von Moeller. Mit Sandra Hüller, Bjarne Henriksen u. v. a., D 2008, 90 Min.