ACHSE DES TECHNO VON TIM CASPAR BOEHME
Konsequenz

Der Brite Luke Slater gehört zu den Techno-Aktivisten der ersten Stunde. Schon in den späten Achtzigern mischte er in der Londoner Acid-Szene mit und war seither unter zahlreichen Pseudonymen konstant an der Fortentwicklung der elektronischen Tanzmusik beteiligt. Sein Projekt Planetary Assault Systems garantiert konsequente Härte bei konstant hohem Puls. Zwar hatte er seit 2002 das planetarische Anschlagswesen ruhen lassen, doch scheint ihn die Entwicklung des Techno in jüngerer Zeit nicht recht befriedigt zu haben. Statt verfeinerter Soundbastelei wollte er wieder mehr „Intensität“ und „Funk“. Das ist ihm mit „Temporary Suspension“ gelungen. Der Weg in die Zukunft führt über die Rückbesinnung auf Vergangenes. Vergleiche mit Helden der Neunziger wie Jeff Mills bieten sich an, auch Slater bringt den Funk mit der Peitsche zum Schwingen. Techno reimt sich bei ihm nicht auf Minimal, sondern auf Industrial. Der Resident-DJ im Berghain hat sich mit dem clubeigenen Label Ostgut Ton den perfekten Ort für sein neues Album gewählt. Dort wird eine Form von Techno kultiviert, für die er selbst einst die Vorlage lieferte. Bei Ostgut hat er zwar gezeigt, dass er auch anders kann: Unter dem Namen The 7th Plain veröffentlichte er vor zwei Jahren eine Ambient-Symphonie zu einem Ballettprojekt. „Temporary Suspension“ hingegen schafft es, zu überzeugen, ohne ein einziges Mal den Drumcomputer wegzulassen. Aus diesem Strudel gibt es kein Entkommen.

Planetary Assault Systems, „Temporary Suspension“ (Ostgut/Ton)

Transzendenz

Große Momente des Pop von Kate Bush bis Lionel Richie auf Sekundenbruchteile reduzieren und daraus endlose Spannungsbögen bauen: Mit dieser Formel landete Axel Willner aus Stockholm vor zwei Jahren als The Field einen Überraschungserfolg über die Grenzen der Techno-Gemeinde hinaus. Sein Debüt „From Here We Go Sublime“ wurde zum Kritikeralbum des Jahres und kann als eines der herausragenden Projekte der Techno-Institution Kompakt gelten. Die Erwartungen an den Nachfolger waren hoch, man musste sich schon fragen, welche Richtung Willner einschlagen würde. Wiederholung des Bekannten? Öffnung hin zu etwas Neuem? Die Antwort lautet: sowohl als auch. Vielleicht soll der leicht unschlüssige Titel „Yesterday & Today“ diese Zwiegespaltenheit zum Ausdruck bringen. Von den sechs ausgedehnten Stücken greift eine Hälfte die bewährte The-Field-Methode auf, der Rest des Albums betritt Neuland. Die größte Veränderung: Willner arbeitet zum ersten Mal nicht nur mit dem Computer, sondern auch mit anderen Musikern. Aus dem Soloprojekt ist während der Live-Touren eine Band geworden. Besonders freuen kann man sich über den Gastauftritt von Battles-Schlagzeuger John Stanier, dessen unerbittlicher Puls für kräftigen Fahrtwind sorgt. Und Willner hat sich zum ersten Mal an eine Coverversion mit Gesang gewagt. „Everybody’s Got to Learn Sometime“ von The Korgis bekommt bei ihm eine fragile, viel dunklere Anmutung. Wohin es in Zukunft auch gehen mag – die Richtung stimmt.

The Field: „Yesterday & Today“ (Kompakt)

Adoleszenz

Wovon lässt sich ein Techno-Produzent beeinflussen, der erst im Jahr 1987 geboren wurde? Für Pascal Terstappen jedenfalls scheinen Großmeister des präzisen Abspeckens wie Richie Hawtin keine dominante Rolle zu spielen. Der jungenhafte Niederländer wirft in seinen Stücken lieber schwelgerische Analog-Klänge, schmutzig schrabbelnde Keyboard-Flächen und allerlei buntes Spielzeug zusammen. Indierock ist für ihn mindestens genauso wichtig wie Electronica, jene ruhigere Spielart programmierter Musik, die nicht unbedingt den Anspruch erhebt, dass man sie zum Tanzen auflegt. In diesem Zwischenreich bewegt sich Applescal mit seinem Debüt. Das Kölner Techno-Label Traum hatte gerade mal eine Maxi von ihm veröffentlicht, als sie beschlossen, gleich sein ganzes Album ins Programm zu nehmen. Bei vorsichtigen zehn Alben in zehn Jahren ist die Entscheidung keine Selbstverständlichkeit. Doch Terstappen macht neben gestandenen Produzenten wie Thomas Fehlmann oder Dominik Eulberg eine völlig überzeugende Figur, und er wäre nicht der erste Künstler, den die Macher von Traum erfolgreich aufgebaut haben. „A Slave’s Commitment“ versprüht Unmengen an Lebendigkeit und unverbrauchter Energie. Man meint, echte Musiker statt Musiksoftware zu hören. Über Mangel an Ideen kann man bei Terstappen nicht klagen, auf das nächste Album darf man gespannt sein. Für ein Label, das sich wie Traum der Verspieltheit verschrieben hat, ist Applescal die beste aller möglichen Entscheidungen.

Applescal, „A Slave’s Commitment“ (Traum)