Das Recht auf Übertreibung

KAMPFPROSA Bei Leon de Winter ist Israel im Jahr 2024 um zwei Drittel seiner Fläche geschrumpft. Jüdische Heroen kämpfen ums Überleben

Leon de Winters Antiutopie kennt kein Außen mehr und wird Antiaufklärung

VON ANDREAS FANIZADEH

Das Recht auf Rückkehr“, provokanter hätte Leon de Winter seinen neuen Roman kaum betiteln können. Das Recht auf Rückkehr, dies markiert einen der Hauptstreitpunkte im israelisch-palästinensischen Dauerkonflikt. Es ist die zentrale Kampfmetapher eines unversöhnlich und revanchistisch gedachten palästinensischen Opfernationalismus, Horror zionistischer Staatsauffassung und jüdischer Reinheitsfanatiker. Was also darf man sich dazu von einem Roman von Leon de Winter erwarten, diesem niederländischen Bestsellerautor, der in der Vergangenheit immer wieder die Unverträglichkeit von arabisch-islamischer und westlicher Lebensweise und damit den „Kampf der Kulturen“ beschwor?

Nun, zunächst einmal eine spannende, wenn auch konventionell geschriebene Geschichte. Der Autor führt zu Beginn ins Jahr 2024: Israel ist auf ein Drittel seiner Fläche geschrumpft. Die demografische Entwicklung forderte ihren Preis, der jüdische Kernstaat hat sich von seinen Gebieten mit mehrheitlich arabischer Bevölkerung getrennt. An hoch gesicherten Checkpoints wird die DNA der Reisenden kontrolliert: jüdisch oder arabisch? Lautlos kreisen Chicken Wings genannte Hubschrauber in der Luft. Sie scannen alles.

Bram Mannheim, die Hauptfigur dieses Romans, ist ein Mann in den Fünfzigern. Er lebt als Rettungsfahrer in Tel Aviv und betreibt mit seinem Kompagnon Ikki zusätzlich eine Agentur. Sie spüren vermisste – das heißt: von Palästinensern geraubte – jüdische Kinder auf. Ikkis Gliedmaßen sind zum Teil künstlich, bei einem palästinensischen Anschlag wurde er schwer verletzt.

Bram Mannheim hingegen verlor seine Seele, als sein kleiner Sohn verschwand, seinerzeit, bei der Übersiedlung der Familie in die USA. Da war er noch ein hoffnungsvoller Jungprofessor. Rückblenden erzählen von dem glücklicheren Leben der Mannheims. Vater Hertog Mannheim, ein Überlebender des NS-Vernichtungssystems, reüssierte als Wissenschaftler in den Niederlanden und zog als angesehener Nobelpreisträger schließlich nach Israel. Sein kosmopolitischer Sohn Bram folgte dem unerreichbar erscheinenden Vateridol.

Bram erforscht mit pazifistischen Idealen den Nahostkonflikt und heiratet eine jüdischindische Schönheit. Doch in den USA bricht das Unglück über Bram Mannheim und die im Entstehen begriffene bürgerliche Idylle herein. Am Verschwinden von Sohn Bennie zerbricht die Ehe. Bram wird zu jener im Prolog de Winters geschilderten kauzigen Persönlichkeit des Jahres 2024, ein gezeichneter Helfer und Sucher in einem nach Hundepisse riechenden und stark gefährdeten Tel Aviv.

Mit Leichtigkeit lässt de Winter Szenen und Bilder entstehen. Den Handlungsverlauf versieht er geschickt mit überraschende Wendungen. Von diesen lebt das Buch, das ideologisch unter völkisch-religiösen Vorurteilen leidet. De Winter reagiert phobisch auf Islam, Araber, Farbige oder Arme: „Bram hatte seine Forschungen in einem der übelsten Stadtteile von los Angeles fortgesetzt. Hier waren die Ghettos der Schwarzen, die urbanen Kriegsgebiete, wo heutzutage Moscheen standen, in denen die Gläubigen dazu aufgerufen wurden, ein Leben in islamischer Frömmigkeit und dschihadistischer Wehrhaftigkeit zu führen.“

Natürlich hat der Autor das Recht, zu übertreiben. Aber leider meint er es immer wieder naturalistisch ernst und schreckt auch nicht vor israelischer Frontprosa zurück: „Bram meldete sich in der Lobby an und wurde von einer jungen Frau in Uniform – ein Mädchen mit hochgesteckten schwarzen Haaren, auch ohne Make-up eine klassische sephardische Schönheit – zu Balins Büro gebracht. Beim Schabak arbeiteten die klügsten und stärksten jungen Leute des Landes, ihrem Einsatz verdankte das Land seine Existenz. Die junge Frau wäre in einer anderen Zeit, an einem anderen Ort vielleicht eine brillante Physikstudentin gewesen oder eine vielversprechende Künstlerin. Jetzt war sie eine Kämpferin.“

Ganz anders sprach noch ein anderer berühmter Unterhaltungsautor, Eric Ambler. Er schuf mit dem „Levantiner“ 1972 bereits einen Roman, der eine Provokation des palästinensischen Terrorismus darstellte. Sein Buch wurde im Juni ebenfalls bei Diogenes neu herausgebracht. Die Handlung spielt in der Zeit vor den neuen Religions- und Volkskämpfen, in deren Reihen ein Autor wie de Winter heute ficht.

Die Unterschiede sind augenscheinlich: Wo Ambler in seiner Hauptfigur Michael Howell einen Hybriden aus allen möglichen Herkünften und Kulturen schuf, der mit Palästinensern und Syrern ringt und streitet, kennt de Winters negative Utopie kein Außen mehr. Und so gerät de Winters „Recht auf Rückkehr“ zu Antiaufklärung pur, zum literarischen Manifest der europäischen Neuen Rechten. Ein aufwendig gestaltetes Großflugblatt, in dem die globalisierten Eliten vor den Unterschichten in Downtown L.A. genauso gefährdet erscheinen wie vor den neuen Emiren aus Nahost. Westliche Kampfprosa, aber immerhin auf relativ kurzweiligem Niveau.

■ Leon de Winter: „Das Recht auf Rückkehr“. Aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers. Diogenes, Zürich 2009, 550 Seiten, 22,90 Euro